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Zellteilung alle tausend Jahre
Bakterien aus Meeressedimenten des Pazifiks
Oldenburg. Vor zehn Jahren ahnte auch Prof. Dr. Heribert Cypionka, Paläomikrobiologe am Institut für Biologie und Chemie des Meeres der Universität Oldenburg noch nicht, dass sich tief in der Erde und vor allem unter dem Meeresboden gewaltige Mengen lebender Mikroorganismen befinden. Heute schätzt man, dass die so genannte tiefe Biosphäre fast ein Drittel der gesamten lebenden Biomasse der Erde beherbergt. Aus den chemischen Gradienten in den Sedimenten lässt sich ablesen, dass die Bakterien dort über große Zeiträume hinweg gewaltige Umsetzungen leisten. Ansonsten weiß man von den Bewohnern der Tiefe fast nichts, denn die Gewinnung einer nicht kontaminierten Probe von 300 Meter unter dem Meeresboden durch mehrere tausend Meter Wasser hindurch ist fast so schwierig wie die Beschaffung einer Probe vom Mars.
Die derzeit beste Technik der Probenahme und die Möglichkeit
der Überprüfung möglicher Kontaminationen bietet das Bohrschiff
"JOIDES Resolution", mit dem Cypionka von Januar bis April 2002
zusammen mit Mikrobiologen, Geochemikern und Sedimentologen aus aller
Welt von Kalifornien nach Chile in den Pazifik fuhr.
Prof. Dr. Heribert Cypionka im Kühlraum des Bohrschiffs bei der Entnahme von Sedimentproben. |
Die Forschungsfahrt vor die Küste Perus fand im Rahmen
des internationalen Tiefseebohrprogramms "Ocean Drilling Program"
(ODP) statt. Bisher war das ODP-Programm klassisch geologisch ausgerichtet.
Die Forschungsfahrt 201 auf den Spuren Alexander von Humboldts, zwischen
Peru und den Galapagos-Inseln, war die erste, die einen mikrobiologischen
Schwerpunkt hatte. Die Sedimente der sieben untersuchten Standorte sind
bis zu 40 Millionen Jahre alt. Ziel der Forschungsgruppe um Cypionka ist
die in den Sedimenten gefundenen Bakterien zu kultivieren und ihren Beitrag
zu geologischen Prozessen zu analysieren.
Schon nach wenigen Zentimetern geht den Organismen im Sediment der Sauerstoff
aus. Bakterien der tiefen Biosphäre sind so genannte Anaerobier,
die ohne Sauerstoff leben. Ihre Lebensenergie beziehen sie aus chemischen
Prozessen, indem sie beispielweise Methan auf- und abbauen.
Die Kultivierung der Bakterien ist eine fast unlösbare Herausforderung.
Es reicht nicht, ihnen ein Milieu zu bieten, das dem in mehreren hundert
Metern Sedimenttiefe entspricht. Denn die Bakterien leben nicht nur ohne
Sauerstoff, sondern auch ohne Sonnenschein und Jahreszeiten. Nahrungsnachschub
bekommen sie deshalb fast gar nicht. Die Verdopplungszeit der Populationen
dürfte normalerweise Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende betragen.
Obwohl die Forscher extrem verdünnte Nährmedien anbieten, treten
in vielen Kulturen aufgeblähte Bakterien auf, die unter dem Mikroskop
den Eindruck erwecken, an "Fettsucht" zu leiden.
Um jede Teilung der Bakterien entdecken zu können, verwenden die
Forscher des ICBM Fluoreszenz-Mikroskope, in denen mit Hilfe spezieller
Farbstoffe einzelne Zellen zum Leuchten gebracht werden können. Molekularbiologische
Techniken ermöglichen außerdem die Identifizierung der Mikroorganismen
ähnlich wie in der Kriminalistik anhand des genetischen Fingerabdrucks.
Untersuchungen dieser Art ergaben, dass viele Bakterien der tiefen Biosphäre
Verwandte an anderen Standorten der Erde haben. Es lassen sich jedoch
viele neue Arten gewinnen, deren genaue Erforschung die kommenden Jahre
in Anspruch nehmen wird.
Auch bei 1000-facher Vergrößerung sind Bakterien kaum zu entdecken (links). Mit Hilfe spezieller Farbstoffe (rechts) werden Bakterienkolonien im UV-Licht sichtbar. |
Bereits während der Forschungsfahrt 201 wurde an einem
Standort ein Anstieg der Bakterienzahlen von mehreren Größenordnungen
90 Meter unter dem Meeresboden entdeckt. Hier verschwanden Methan und
Sulfat gleichzeitig, offensichtlich aufgrund des Stoffwechsels der Mikroben.
Bei deren Kultivierung im Labor darf man nun keinen schnellen Erfolg erwarten,
sondern muss mit viel Geduld beobachten, welche der Bakterien "aufwachen"
und zu wachsen beginnen. Interessanterweise scheinen sich manche Bakterien
durch Signalstoffe aufwecken zu lassen, wie Versuche mit Bakterien aus
dem Zwischenahner Meer gezeigt haben: Nach Zusatz von bakterienspezifischen
Pheromonen wachsen signifikant mehr Bakterien als ohne Zusatz. Diese Entdeckung
wenden die Wissenschaftler nun auch in Kultivierungsversuchen mit den
besonders empfindlichen Bakterien der marinen Sedimente an.
Weil das Leben in den Tiefen der Erde bisher noch weitestgehend unerforscht
ist, begrüßen Cypionka und seine Kollegen die Entscheidung
der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung (BMBF), die deutsche Beteiligung in dem
internationalen Tiefseebohrprogramm, das seit Oktober 2002 unter dem neuen
Namen "Integrated Ocean Drilling Program" mit einem Schwerpunkt
"deep biosphere" angelaufen ist, für weitere zehn Jahre
zu fördern.
Katrin Neuhalfen
Infos: http://www.icbm.de/pmbio
Kontakt: Prof. Dr. Heribert Cypionka, Tel.: 0441/798-5360,
E-Mail: cypionka@icbm.de
Kontakt: Dr. Peter Heering, Fachbereich Physik, Tel.: 0441/798-3464,
E-Mail: peter.heering@uni-oldenburg.de
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