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Die Erde - ein Lebewesen

von Wolfgang E. Krumbein und George Levit

(Eine Kurzinformation finden Sie hier)

Kristallen und Computern werden oft Lebenseigenschaften zugewiesen. In der Gegenüberstellung des symmetrischen Raum-Zeit-Kontinuums euklidisch-geometrischer Körper gegen das dyssymmetrische Raum-Zeit-Kontinuum lebender Körper wird die Definition des Lebens von Erbsubstanz, Gehirn, Teilung auf Herstellung dyssymmetrischer Zustände an Membranen verlagert. Kristalle sind danach nicht einmal mit Lebewesen vergleichbar; aber: Leben ist eine Naturkonstante und, so die provokative These: Abiogenese wird hierdurch ausgeschlossen. Die Erde ist ein Lebewesen. Die Erde ist die Spezies "Terra sempervirens".

Welt und Weltbild, Geschichte, Paradigmengeschichte, die Wissenschaft, die Schönheit, die Kunst, Eurasien, Amerindia, die Antarktis, Deutschland und auch die Universität Oldenburg befinden sich in einem ständigen Prozeß des Umbruchs, der Erneuerung und des Aufbruchs aus dem kristallisierten Zustand der Stagnation. Wo sonst als in den Köpfen, Händen, Füßen, dicken und dünnen Häuten oder Membranen der Beteiligten sollten sich diese Prozesse ab-spielen oder -spiegeln?

Die Grenze zwischen lebendig und nicht-lebendig beschäftigt jeden seit altersher. Sie ist gleichzeitig die Grenze zwischen Symmetrie und Dyssymmetrie. Sie spiegelt den Gegensatz zwischen "biologischem und physikalischem Raumzeitgefüge". Der Unterschied zwischen lebendig und unbelebt wurde 1861 durch den Mineralogen Louis Pasteur hervorgehoben, durch den Mineralogen Pierre Curie weiter entwickelt, schließlich durch den Mineralogen Vernadsky (1926) als "Pasteur-Curie-Prinzip der Dissymmetrie" vorgestellt. Aus der Unterscheidung des Pasteur zwischen lebenden und nicht lebenden Systemen über Symmetrieunterschiede zwischen Kristallen und Lebewesen leitete Vernadsky ab, daß sich ein biologisches von einem physikalischen Raum-Zeitgefüge trennen läßt. Wir wandeln die Dissymmetrie von Pasteur/Vernadsky in Dyssymmetrie um und nennen als Grenze zwischen lebendig und nicht lebendig die Membran, die die Zelle umschließt. Sie ist der Ort des Lebens. Kristalle aber entbehren einer Membran.

Minerale sind natürliche Körper, die aus einem Gemisch gelöster Atome oder Ionen mit einer definierten aber auf 32 Kristallklassen beschränkten euklidischen Geometrie erstarren. Sie sind nicht lebendig. Natürliche Körper, die aus mineralähnlichen Molekülen (auch Flüssig-Kristalle genannt) zusammengesetzt und geformt werden und deren Einzelzellen oder Organellen von einer Membran umgeben sind, sind dagegen lebendig. Minerale sind immer symmetrisch und erreichen maximal das Hexakisoktaeder oder den 6 x 8 = 48-Flächner als höchstentwickelte Form (Granat, Karfunkelstein). Organismen und ihre Ordnungen sind dagegen einerseits asymmetrisch, wie ein Gehirn oder das bekannte Selbstportrait Dürers, dessen linke und rechte Hälfte sich nicht sinnvoll durch Spiegelung zusammenfügen lassen. Andererseits sind sie nicht asymmetrisch, da linke und rechte Hirnhälfte, linke und rechte Hand, die beiden Einzelstränge einer DNA-Doppelhelix oder Zwillinge sich gleichen, wie ein Ei dem anderen. Biologische Systeme haben mehr Symmetriebenen und erreichen höhere Symmetrieformen als das Hexakisoktaeder, sind aber nie völlig deckungsgleich, also nie langweilig.

Stammesgeschichte, Embryologie und Evolution werden bei D'Arcy Thompson durch die Idee ersetzt, daß der funktionale Aspekt der Form eines Organismus weit wichtiger sei, als Blutbande und Familienbeziehungen. Die Form herrscht über die Abstammung. Daraus kann gefolgert werden: Die Erde ist ein lebender natürlicher Körper, ein Organismus mit dyssymmetrischer Gestalt, die wir das biologisch erzeugte Relief nennen. Lebt also die Erde? Und: Mit Hilfe welcher Membranen?

Ja, die Erde lebt. Sie ist ein lebendiges Wesen, eine Spezies nicht ungleich Mikroorganismen, Pflanzen, Tieren. Dieses prächtige, runde, grüne, satte Lebewesen möchten wir mit dem Artnamen Terra sempervirens bezeichnen. Dem stehen wissenschaftliche, organisatorische und administrative Hindernisse entgegen. Der Mensch weigert sich, zu einem Organ, oder einem Bakterium, das ein Organ besiedelt, herabgeordnet zu werden. Mensch vergißt gern, daß er unwiederruflich vorübergehender Teil eines größeren, schöneren, klügeren Ganzen -der lebendigen Erde- ist. Wie also soll mensch die Erde sehen?

Im Anfang das Wort

Im Anfang war das Wort. Zu philosophisch? Es wird auch gesagt: Im Anfang war das Wasser! Nein: Im Anfang ist die Natur. Wenn man das symmetrische Raum-Zeit-Kontinuum natürlicher unbelebter Körper akzeptiert, ist man gezwungen, auch das dyssymmetrische Raum-Zeit-Kontinuum natürlicher lebender Körper zu akzeptieren. Somit ist am Anfang auch das Leben als eine Regularität der Natur. Das Leben ist gewissermaßen schneller als die Schöpfung, benimmt sich, wie es das Märchen vom Hasen und Igel beschreibt ("Ick bün all doar").

Im Anfang war Sternenstaub, Abfall gewissermaßen. Daraus wurden Sonnen und Planeten, allüberall im All. Das Wasser bildet sich - wie vieles andere - später; und das in biologisch kontrollierten Mengen und Abhängigkeiten.

Im Anfang also die Natur: Die Natur hat Konstanten. Wir kennen und mögen diese Konstanten. Darunter sind: Raum, Zeit, Masse, Energie und - natürlich - Leben! Das Leben ist eine Regularität der Natur. Das Leben ist eine Naturkonstante. Seine Grenzen sind uns nur vage bekannt. Seine Definition fällt uns schwer. Lebt ein Computer, der sich eine Selbstvervielfältigungsumgebung schafft, der Informationen speichert und verarbeitet? Lebt ein Bakterium, wenn es untrennbar mit einem Darm verheiratet ist? Lebt ein Viruspartikel, das sich nur vermehren kann, wenn es in eine Zelle gerät? Ist die Information, die in einem Silizium-Chip oder einem Quarzkristall gespeichert ist, weniger lebendig als die der DNA, oder die Information, die Escherichia coli, mein Darmbakterium auf seinen Eiweißen speichert um sich besser an Futter erinnern zu können, weniger lebendig als die, die ein menschliches Gehirn aufnimmt und an Kollegen, Bücher, Computer weitergibt?

Die Definition des Lebens ist schwer und die anthropische Sicht, daß das Leben eine Naturkonstante ist, nicht allzufern von dem was richtig ist, wenngleich fern von der letzten Wahrheit. Vernadsky postuliert: Die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lebens sei unbegrenzt, wenngleich nicht schneller als die Schallgeschwindigkeit. Sie sei jedoch differenziert, wenn man Bakterium, Elefant und Mücke vergleicht. Er hat auch eine Noosphäre, also eine Aura der Vernunft für das globale System Erde postuliert. Vernunft ist ein menschliches Wort. Solange wir nicht akzeptieren, daß ein Bakterium, ein Mensch, ein Planet den gleichen Grad an Vernunft aufweisen, werden wir die Erde nicht begreifen. Die Erde (Terra sempervirens) ist ein Lebewesen. Ihre Lebensdauer ist unbekannt, ihre Genesis (Geburt) ist legendär, wie die des Minotaurus; ihre Organisation, ihr Metabolismus, ihre Psyche sind nur in Umrissen bekannt.

Steckbrief der Erde

Mutter: unbekannt. Vater: unbekannt. Geschlecht: nicht deutlich definierbar. Hermaphroditisch ist eine poetische Formulierung griechischer Wissenschaftler, die nicht im geringsten die vielen Spielarten des Geschlechts und der geschlechtlichen Beziehungen des Lebens wiedergibt. Wenn aber die Erde ein Lebewesen ist und wenn Naturgesetze und Naturkonstanten physikalisch und biologisch anerkannt werden, dann kann Leben ebensowenig "entstehen" wie "endgültig ausgelöscht", werden. Leben ist konstant wie Masse, Raum, Zeit, Energie, und Metamorphosen unter ihnen konstant und unauslöschlich (begrenzt) sind. Dann muß, wenn die Erde "stirbt", notwendigerweise irgendwo und irgendwann ein anderes, vielleicht herrlicheres Lebewesen auf den Plan der Natur (Gottes?) treten um die Konstanz des Prinzips Leben zu gewähren. Wie das geschieht? Mutter und Vater unbekannt; wenigstens bisher. Versuchskaninchen stehen (noch) nicht zur Verfügung. Abiogenesis - also die Entstehung von Leben aus Nicht-Leben ist unmöglich oder wird vom Leben unterdrückt, ausgeschlossen. Wie aber studiert man das Lebewesen Erde?

Geophysiologie ist die Wissenschaft von lebenden Planeten. Geophysiologie leitet sich von Geos = Erde und von Physiologie ab. Ein Lexikon des 18. Jahrhunderts: "Physiologie oder Physik sind synonym. Physiologie/Physik ist die Wissenschaft von den Phänomenen (Erscheinungen) und Prozessen (Vorgängen) natürlicher Körper". Die Erde ist ein natürlicher Körper, aber auch ein Quarzkristall ist ein natürlicher Körper und ein Virus desgleichen, wie eben auch ein Mensch. Im frühen 19. Jhdt. wurde es gebräuchlich, daß die "Physiker" sich mit Phänomenen und Prozessen bioinerter (nicht lebender) Körper befaßten. Die "Physiologen" dagegen wandten sich lebenden Körpern zu. Die Spaltung ist tiefer als man denken möchte, weil offenbar zwei verschiedene Raum-Zeit-Konzepte (ein symmetrisches für inerte Körper und ein dyssymmetrisches für lebende Körper) nach Erklärung verlangen. Während das symmetrische Konzept sich leicht in euklidische Geometrie einordnen läßt, ist das dyssymmetrische noch nicht mit einer Theorie versehen. Wir fordern daher eine biologisch genährte Philosophie, die die physikalisch determinierte ersetzen wird.

Das Universum lebt

Wir definieren Leben wie folgt: Alle Systeme, die Dyssymmetrie erzeugen, erhalten oder modifizieren, sind lebendig. Hierzu gehören: (1) von einer biologischen Membran umgebene natürliche Körper. (2) Organismen (Spezies aus Einzelzellen zusammengesetzt). (3) Biocoenosen (aus Einzelorganismen zusammengesetzt wie z.B. die Erde). (4) Das Universum, solange es als Dyssymmetrie erzeugendes und erhaltendes lebendes Ganzes existiert. Wir bezeichnen als das Leben der Erde alle Erscheinungen und Vorgänge auf der Erde, die an und durch Membranen ablaufen und ein dynamisches, dyssymetrisches Raum-Zeit-Kontinuum innerhalb und um sie herum mit Leben füllen.

Prozesse im symmetrisch-euklidischen Raum-Zeitkontinuum sind reversibel. Dyssymmetrische (Lebens-) Prozesse im biologischen Raum-Zeit-Kontinuum scheinen irreversibel. Dies ist jedoch nicht bewiesen. Das dyssymmetrische Geschehen Leben spielt sich an Membranen und anderen Durchtrittsgrenzen ab, die unter der Kontrolle eines Unverstandenen (DNA, Gehirn, Bewußtsein, Freiheit zur Schuld, Gott) stehen. Es ist gekennzeichnet durch dyssymmetrisch organisierte Phänomene und Prozesse an Durchtrittsgrenzen. Das heißt: Die aus dem euklidischen Raum-Zeit Kontinuum geforderte statische Symmetrie wird gebrochen. Es entstehen links drehende Aminosäuren, rechts drehende Zucker, linksspiralige Zellwände, Chiralitäten der Hände, Gesichtshälften, Hirne. Es werden bestimmte Isotope bevorzugt hereingelassen oder ausgeschleust und so fort in der Reihe der Dinge. Das Raumzeit-Kontinuum, das hier gedacht werden muß, ist nicht statisch. Es ist dynamisch und gleichzeitig kann es statisch auf den Berührungspunkt zwischen dem Bild, das wir uns machen und der Wirklichkeit der Natur reduziert werden. Wittgenstein hat dieses Bild nie auf die Zell-Membran angewendet, er bevorzugte die Wasseroberfläche als Metapher.

Der Durchtritt durch die Membran

Leben ist nicht gleichförmig und einsinnig weitergegebene Information auf einem DNA-, RNA- oder Eiweißmolekül, nicht das Schaltwerk der Gedanken, nicht Duplikation und nicht Freiheit zur Schuld. Letztere mag an der Basis stehen, ist aber kein Bestandteil. Leben ist der dynamische Prozeß der Symmetriebrechung unter Energieeinsatz im dyssymmetrischen System zwischen membranumschlossenem von der Entropie unabhängigem Geschehen der Zelle und der gewaltigen zeitlichen Rückkopplung mit gleichzeitigen wie früheren (fossilen) Dyssymmetrien, fossilen Biosphären aus denen die heutige Erde Energie und Stoffquellen schöpft. Mehr noch: Ein Geophysiker (Anderson, Science 1984) sagte: "Es gibt die interessante Möglichkeit, daß die Plattentektonik (Kontinentaldrift, Werden und Vergehen von Kontinenten) nur existiert, weil es Kalkstein erzeugendes Leben gibt". Schon Kant vermutete, Gott mache die Erdbeben nicht zur Bestrafung des Menschengeschlechts, sondern um in seinem unermeßlichen Ratschluß den Pflanzen und Tieren, die die Erde bekrauten und bewimmeln, neue Energie und neue Nährstoffe zukommen zu lassen. Die Erde sei nicht abweisend schroff und abgründig reliefiert, weil Gott die Menschen strafen will. Zu welchen Zwecken Relief (Geomorphologie) entstehe und sich wandele, bliebe zu erörtern. Wir wissen es besser: Die (membranumschlossene) Form bestimmt das lebende Element und erhält es am Leben durch Biogeomorphogenesis. Die Erde also lebt, wächst, speichert, wandelt sich, so wie ein Baum, ein Tier, ein Mensch.

Biogenesis und Abiogenesis

Ein Beispiel für dies irdische Leben sei gegeben. Wir postulieren: Ein Lindenblatt (bevorzugt nach Novalis eine blaue Blume) das durch Theophrast, Aristoteles oder Linné in ein Herbar gelegt wurde, enthält nach wie vor die Information (DNA, Eiweiß, etc.). Mit etwas Geschick können wir aus diesem Blatt wieder Leben werden lassen: Aber im Herbar lebt es nicht, weil der Prozeß der permanenten Erzeugung und Erhaltung von symmetrieartiger Dyssymmetrie suspendiert wurde. Umgekehrt ist Tod nicht das Ende von Gehirnströmen und nicht das Enthaupten. Ja wir können sagen: Solange dieser Planet, den wir zu kennen glauben, noch einen Rest von suspendiertem Leben trägt (also Information und Struktur) solange hat er Lebensfähigkeit. Solange ist Lebensmöglichkeit und existiert ein Raum-Zeit-Kontinuum lebender natürlicher Körper. Damit kann auch Abiogenesis -also das Entstehen von Leben- nicht postuliert oder beschrieben werden. Leben ist unveränderliche, unvermehrbare dyssymmetrische Gesetzmäßigkeit der Natur. Gesetzmäßigkeiten und Ausmaße lebensbedingter Symmetriebrüche und Erzeugung von Dyssymmetrie sind noch zu erforschen.

Quo vadis, Terra sempervirens?

Wir müssen uns vielleicht an den Gedanken gewöhnen, daß ein unreflektiertes, ein unbewundertes, unerforschtes Universum nicht denkbar ist. Da ohne jeden Zweifel die Menschheit ein unbedeutender Ausschnitt und Abschnitt dieses Geschehens ist, müssen andere Wege der Selbstreflektion des Lebewesens Erde existieren. An diesem Gedanken mögen auch Vernadsky und Wittgenstein gescheitert sein, wie andere zuvor. Novalis und Kleist mögen näher am Phänomen gewesen sein, weil sie das narzißtische Bild und Verhalten der Menschheit als Teil des Ganzen verwissenschaftlichten ("Blaue Blume" und "Marionettentheater" als Urbegriffe des unreflektierten Seins). Reflektion aber scheint eine Bedingung der Existenz. Wenn wir über unsere 5-7 Sinne hinausschauen, können wir auch einsehen, daß Bakterien fühlen, wahrnehmen. Darüberhinaus: Leben entsteht nicht. Es zeigt sich. Wie aber lebt der Planet? Wie kann man seine Geophysiologie beschreiben? Abschließend ein Versuch hierzu. Krumbein (1983, 1996) hat eine Feldtheorie des Lebens vorgeschlagen, die ähnlich wie die Gravitätsfeldtheorie Newtons oder andere Theorien auf Begriffe der Astrologie und der Alchimie zurückgreift. Diese besagt: Leben kann nicht entstehen, es ist und bleibt eine Naturkonstante. Auf die Erde umgesetzt bedeutet dies: Das Relief der Erde mit den dazugehörigen Wassermassen ist keine Voraussetzung (für die Entstehung) des Lebens, sondern eine Folge des Lebens (der Erde). Die Erde erhält sich in einem dynamischen, dyssymmetrischen Gleichgewicht, fernab des astrophysikalischen euklidisch-symmetrischen Zustandes.

Biologische Arbeit und dyssymmetrische Organisation von Energie und Masse, die von außerhalb und innerhalb des Erdkörpers kommen und in Zeit und Raum umverteilt werden, ermöglichen dies unter Einbeziehung der Produkte fossiler Biosphären. Die Geophysiologie studiert die Wechselwirkung der Sonne und des Sternenstaubes mit der Erde und ihren früheren (gespeicherten, suspendierten) Lebenszuständen. Globale photosynthetische und respiratorische Umsetzung direkt eingestrahlter und in den Gesteinen gespeicherter Sonnenenergie und von Stoffen ("der Stoff aus dem die Träume sind") werden dyssymmetrisch über Äonen verknüpft. Die Energie (Sonne) und die Massen von Atomen und ihren Molekülen (Sternenstaub), die von den gegenwärtig lebenden 1020g Biomasse (davon 99.999% bakteriell) umgesetzt und aus dem bioinerten in den dyssymetrischen lebenden Zustand verwandelt werden, werden dabei überwiegend von außen in die Erde eingespeist und wieder nach außen abgegeben (so wie nach Aristoteles ein Tier Energie und Masse aufnimmt und Abfallprodukte und Wärme abgibt). All dies geschieht in Raum und Zeit überwiegend durch mikrobielle Prozesse in einer dünnen Haut (oder Membran), die die Erde überzieht, eben der (Mikro-) Biosphäre.

Die Kräfte und Stoffe sind und waren seit je (1) die Energie und Elektronen lenkende mikrobielle Photosynthese, Respiration und Gärung (Disproportionierung); (2) mikrobiell gelenkte Anreicherung und Speicherung von Energie- und Mineralreserven in der Erdkruste; (3) biologisch (mikrobielle Symbiosen) kontrollierter, gesteuerter und durchgeführter Transport, Translokation, Transfer und Freisetzung der gespeicherten Energien und Vorräte aus Mantel und Kruste in biogeomorphogenetischen und biogeotektonischen Zyklen von geologischer oder erdgeschichtlicher Dimension. Primordiale (ursprüngliche) Energie- und Masseverteilungen werden dabei durch die biologische "Sonnenpumpe" (man denke an die Honigpumpe von Beuys) ersetzt. Die Mengen an alljährlich in der Kruste gespeicherter Sonnenenergie reichen dabei aus, um den Wärmefluß und die Geodynamik der Erdkruste zu erklären. Mit zunehmendem Energiedruck einer wärmer werdenden Sonne wird mehr Energie und Material umgesetzt und mehr Informationstechnologie (Geist, Vernunft) eingesetzt. Die zeitlichen Abläufe werden verlangsamt. Transport- und Verbindungssysteme (Logistik, Komplexität) nehmen an Bedeutung zu. Lebende Materie (im Sinne Vernadsky's abgegrenzt gegen bioinerte Materie) erreicht dabei Transferraten von mehr als 10% der Erdmasse in einem Lebenszyklus. Die Geschwindigkeit des Transfers muß seit der Frühzeit (Jugend) der Erde verlangsamt worden sein, während die Mengen an umgesetzter Energie und Masse zunahmen. Dies ist belegbar durch eine Zunahme der Krustendicke und der biologischen Komplexität. Die Erde als Bioid, Bioplanet (ein von Prof. U. Kattmann beigesteuerter Begriff) oder als das Lebewesen Terra sempervirens ist gereift. Wenn der Energiedruck von außen abnehmen sollte (sinkende anstelle gegenwärtig steigender Sonnenenergie), könnte sie auch "altern", einfacher, weniger komplex, weniger strukturiert werden- und sterben. Und sich zuvor (aber wie?- siehe Steckbrief) fortpflanzen?

 

Die Autoren
Prof. Dr. Wolfgang E. Krumbein (60), Geomikrobiologe am Institut für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) und Mitglied des Instituts für Philosophie, wurde 1974 an die Universität Oldenburg berufen. Neben Geomikrobiologie sind Geophysiologie und Wissenschaftsgeschichte seine Spezialgebiete. Drei Rufe an andere Universitäten lehnte Krumbein ab. In Forschungssemestern war er Gastwissenschaftler an den Universitäten Harvard, Jerusalem, Messina und St. Petersburg.

George Levit (32), Magister der Philosophie aus St. Petersburg, ist seit einem Jahr Doktorand am ICBM, am Institut für Philosophie und in der Slawistik. Sein Promotionsthema ist das Werk von Vladimir Ivanovich Vernadsky, dem Russischen Denker und Begründer der Biogeochemie.

Kontakt: Prof. Dr. Wolfgang E. Krumbein, Tel.: 0441/798-3382 bzw. -3383, Fax: -3384, 
George Levit, Tel.: 0441/798-3790.


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