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Die Oldenburger Tucholsky-Gesamtausgabe
"Selbstverständlich habt Ihr die Frage: Völkerbund oder Pan-Europa nicht gelöst. Fragen werden von der Menschheit nicht gelöst, sondern liegen gelassen. Selbstverständlich habt Ihr fürs tägliche Leben 300 wichtige Maschinen mehr als wir, und im übrigen seid Ihr genau so dumm, genau so klug, genau so modern wie wir.“ Diese mehr oder minder zutreffenden Prophezeiungen schrieb Kurt Tucholsky (1890-1935) 1926 in einem "Gruß nach vorn" an einen imaginären Leser aus dem Jahr 1985. Der kleine Artikel aus der "Weltbühne" gehört zu den mehr als 3000 Texten, die seit 1991 an der Universität Oldenburg mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu einer 22bändigen Kritischen Gesamtausgabe der Werke und Briefe des berühmten Publizisten zusammengestellt werden. Ebenso wie die Gesamtausgabe der Schriften Carl von Ossietzkys, die 1994 an der Universität Oldenburg abgeschlossen wurde, erscheinen die Bücher im Rowohlt Verlag. Die Arbeit soll 2003/2004 beendet sein.In einem jetzt erschienenen Artikel in dem Oldenburger Universitätsforschungsmagazin EINBLICKE stellen zwei der Herausgeber und Mitarbeiter der Tucholsky-Arbeitsstelle, der Germanist Prof. Dr. Dirk Grathoff und der Politologe Prof. Dr. Gerhard Kraiker, das Projekt näher vor ("Die Oldenburger Gesamtausgabe der Werke und Briefe von Kurt Tucholsky", EINBLICKE Nr. 28, S. 4-8). Die beiden Wissenschaftler befassen sich u.a. mit der Frage, warum eine Auswahlausgabe - die als zehnbändige "Gesammelte Werke", herausgegeben von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz, bereits vorliegt - im Fall Tucholskys nicht ausreicht.
Jede Auswahlausgabe sei an die "Bedeutungswahrnehmung der Herausgeber und der Jetztzeit" gebunden, so Grathoff und Kraiker. Tucholsky sei schon zu Lebzeiten und mehr noch nach dem 2. Weltkrieg aus ganz verschiedenen Leseinteressen heraus wahrgenommen worden. Nur eine möglichst vollständige Ausgabe werde dem Publizisten gerecht: dem wohlgefälligen Gedichteschreiber, dem Erzähler von Liebesgeschichten, dem provokanten politischen Kritiker, dem engagierten Pazifisten, dem Verfasser von witzigen und pointierten Kabarettchansons, dem Rezensenten, dem manchmal sarkastischen und manchmal verstehenden Beobachter bürgerlicher Mentalität und Moral und nicht zuletzt dem Briefeschreiber. Für eine vollständige Ausgabe spreche überdies das große wissenschaftliche Interesse, auf das Tucholskys Werk in den letzten Jahren auch in Frankreich, England und den USA stoße.
Statt nach Genres gegliedert folgt die Oldenburger Edition der chronologischen Ordnung. Lediglich Texte und Briefe sind getrennt. Gegen eine Genregliederung habe vor allem gesprochen, daß Tucholsky die Gattungen häufig vermischte. Der Kommentar, der in den Textbänden nicht mehr als ein Drittel des Gesamtumfangs ausmacht, soll den Leserlnnen die Text- und Briefteile erschließen, die ohne Erklärung der zeitgeschichtlichen Bezüge nicht unmittelbar zugänglich wären. Dagegen sei es nicht Aufgabe des Kommentars, eigene Deutungen des literarischen Werks und Beurteilungen der politischen Äußerungen vorzunehmen. Eine Werkausgabe könne nur "die besten Voraussetzungen für Interpreten und Kritiker schaffen, die Analyse muß an anderer Stelle stattfinden", so Grathoff und Kraiker.
Die erfolgreiche Etablierung der Ossietzky- und Tucholsky-Archive mit ihren Forschungsstellen und den abgeschlossenen bzw. voranschreitenden Gesamtausgaben hat wesentlich dazu beigetragen, daß jetzt der Nachlaß von Hannah Arendt in Oldenburg bearbeitet wird. Beabsichtigt ist, die Schwerpunkte Ossietzky, Tucholsky und Arendt für die Erforschung der Kultur der Weimarer Republik und des Exils zusammenzuführen. Zusammen mit dem Studiengang "Jüdische Studien" ergibt sich dadurch an der Universität Oldenburg ein international wichtiger Schwerpunkt der deutschen Geistes- und Kulturwissenschaften.
Kontakt: Prof. Dr. Dirk Grathoff, Fachbereich Literatur- und Sprachwissenschaften,
Tel. 0441/798-3107,
Prof. Dr. Gerhard Kraiker, Fachbereich Sozialwissenschaften, Tel. 0441/7982048.
Bezug des EINBLICKE-Artikels: Pressestelle, Tel. 0441/9706-446, Fax -545,
oder im Internet: www.admin.uni-oldenburg.de/presse/einblick/
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