Seite 6 - UNI-INFO November 2012

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UNI-INFO
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Jrg. 8/12
UNI-INFO: Herr Trautwein, transnati-
onale Prozesse sind das Thema von
ZenTra, der gemeinsamen neuen For-
schungseinrichtung der Universitäten
Oldenburg und Bremen. Was genau ist
darunter zu verstehen?
TRAUTWEIN: Mit „Transnationali-
sierung“ meinen wir grenzüberschrei-
tende Aktivitäten von Unternehmen
und anderen nichtstaatlichen Organi-
sationen, aber auch von Personen und
ihren sozialen Netzwerken. Insbeson-
dere Aktivitäten, die nationalstaatliche
Beschränkungen von Handlungsspiel-
räumen aufheben.
UNI-INFO: Zum Beispiel?
TRAUTWEIN: Etwa transnationale
Unternehmen. Sie produzieren in ver-
schiedenen Ländern und orientieren
sich an globalen Konzernstrategien.
Dabei verändern sie sowohl die lokalen
Unternehmenskulturen als auch das
institutionelle Gefüge in den beteilig-
ten Regionen. Oder das Internet: Mit
den Sozialen Medien schafft es grenz-
übergreifende Öffentlichkeiten, die
Organisation von Protestbewegungen
gelingt so inviel größererGeschwindig-
keit und Ausdehnung als früher. Man
denke nur an „Arabellion“, „Occupy“
oder an die sogenannten „Shitstorms“
Transnationalisierung kann also auch
Globalisierung von unten“ sein, im
Guten wie im Schlechten.
UNI-INFO: Warum ist es so dringlich,
das zu erforschen?
TRAUTWEIN: Die Finanzkrise zeigt
es uns: Wir wissen viel zu wenig
über die weltweiten Verflechtungen
von Krediten und Risiken, die sich in
transnationalenBanken- undSchatten-
bankensystemenentwickelt haben.Wir
wissen zu wenig über die vielfältigen
Formen von transnationalem Recht,
das private Akteure auf Güter- und Ar-
beitsmärkten schaffen. Undwir wissen
noch zu wenig darüber, wie sich trans-
nationale Aktivitäten, zum Beispiel
im Schiffs- und Flugverkehr, auf das
Weltklima auswirken – undwie die Ein-
wirkungsmöglichkeitentransnationaler
Klimaschutz-Netzwerke aussehen. Es
gibt viele weitere Wissenslücken. Wir
müssen sie dringend schließen.
Blick auf Transnationalität muss sich ändern“
ZenTra heißt das neue Wissenschaftliche Zentrum für Transnationale Studien der Universitäten Oldenburg und Bremen.
Was transnationale Prozesse sind, warum es so wichtig ist, sie zu erforschen, erklärt ZenTra-Direktor Hans-Michael Trautwein.
ZenTra eröffnet
T
ransnationalität sei noch weit-
gehend unerforscht – und eine
interdisziplinäreHerausforderung,
für die ZenTra die richtigen Instru-
mente bereitstellen werde, sagte
Niedersachsens Wissenschaftsmi-
nisterin Prof. Dr. Johanna Wanka
bei der Eröffnung von ZenTra im
Delmenhorster Hanse-Wissen-
schaftskolleg (HWK) im Oktober.
Die erste ZenTra-Arbeitsgruppe
TransnationaleUnternehmenund
Regulierung“ forscht bereits seit
Anfang des Jahres. Zwei weitere
ZenTra-Arbeitsgruppen gehen
in den nächsten Wochen an den
Start. Die eine forscht über die
Wechselwirkungen von Transnati-
onalisierung und Klimawandel,
die andere konzentriert sich auf
transnationales Wirtschaftsrecht.
Weitere geplante Arbeitsgruppen
sind „Transnationale Bürgergesell-
schaft“ und „Soziale Ungleichheit
und Transnationalisierung von
Eliten“.
Förderer von ZenTra sind die Stif-
tung Mercator, die Volkswagen-
Stiftung und die Länder Bremen
und Niedersachsen. Auch aus der
Exzellenzinitiative des Bundes und
der Länder fließen Mittel in das
Projekt.
UNI-INFO: Was macht es so schwierig?
TRAUTWEIN: Da ist zum einen die
besonders hohe Komplexität und Ge-
schwindigkeit der zu beobachtenden
Prozesse. Und zum anderen gibt es
Beschränkungen der Blickwinkel in
den Sozialwissenschaften. In fast allen
Disziplinen der Sozialwissenschaften,
die sich eigentlich mit Transnationali-
sierungbefassensollten,denktmanent-
weder zu national oder zu abgehoben.
So kann man die Globalisierung von
untennicht indas Blickfeldbekommen.
Insbesondere die Rechtswissenschaf-
ten, die Volkswirtschaftslehre und die
Politikwissenschaft beziehen sich seit
jeher auf nationalstaatliche Systeme
oder zwischenstaatliches Handeln. Das
schlägt sich nicht nur in den analy-
tischenKategoriennieder,sondernauch
in der Struktur der Daten, die erhoben
werden.
UNI-INFO: Das heißt, Transnationali-
sierung wird gar nicht erkannt?
TRAUTWEIN: Zumindest wird das
Erkennen neuartiger Muster, die durch
Transnationalisierung entstehen, er-
schwert. Hier muss man neue Ansätze
und Datensätze finden oder Bestehen-
des auf neuartige Weise kombinieren.
Interview: Matthias Echterhagen
Profil der EMS einzigartig in Europa
Fortsetzung von Seite 1
semester zu sich auf die Bühne bat.
Wir brauchen Sie, und wir brauchen
Sie hier“, sagte er und wünschte den
angehendenÄrztinnen undÄrzten viel
Erfolg für ihr Studium.
Das Land Niedersachsen unterstützt
den Aufbau der EMS in den nächsten
Jahren mit mehr als 57 Millionen Euro.
Das deutsch-niederländische Gemein-
schaftsvorhabenEMS erfährt aber auch
in Stadt und Region eine breite ideelle
undfinanzielleUnterstützung.Führende
Wirtschaftsvertreterengagierensichmit
mehreren Millionen Euro. Auch sie bat
McAllister auf die Bühne und sprach
ihnen seinen Dank aus.
Honorarkonsul Boerstra verlas das
Grußwort von Marnix Krop, Botschaf-
ter des Königreichs der Niederlande.
Er sagte: „Ich freue mich sehr über
die strukturelle Kooperation zwischen
den Universitäten Oldenburg und
Groningen. Eine grenzüberschreitende
Zusammenarbeit, die einzigartig in Eu-
ropa ist“. Die EuropeanMedical School
wie aber auch die Hanse-Law-School,
in der ebenfalls beide Universitäten
gemeinsammit der Universität Bremen
ihre Kräfte bündelten – könne sogar
Modell stehen für weitere grenzüber-
schreitendewissenschaftlicheGemein-
schaftsprojekte zwischenDeutschland
und den Niederlanden.
Prof. Dr. Sibrand Poppema, Präsi-
dent der Rijksuniversiteit Groningen,
betonte: „Mit der European Medical
School bieten wir neben einem nie-
derländisch- und englischsprachigen
Medizinstudiengang jetzt auch eine
deutschsprachige Ausbildung nach
demGroninger Modell. So können wir
Ärztinnen und Ärzte für ganz Europa
ausbilden, insbesondere auch für den
Nordwesten Deutschlands, dem ein
Ärztemangel droht.“
Konzept und Ziele der EMS sowie die
Fakultät für Medizin und Gesundheits-
wissenschaften stellte Dekan Prof. Dr.
Eckhart Hahn den Gästen vor. „Wir
wollen mit der EMS erstklassige me-
dizinische Lehre an der Universität
OldenburgetablierenunddieForschung
weiter ausbauen“, sagte Hahn. Inno-
vative Behandlungsmethodenwürden
dadurch in der Region noch besser
verfügbar. Die EMS sticht besonders
durch ihr stark praxis- und zugleich
forschungsorientiertes Lehrkonzept
heraus. In der Forschung fokussieren
sich die WissenschaftlerInnen auf die
beiden Schwerpunkte „Neurosensorik“
und „Versorgungsforschung“.
Eine Podiumsdiskussionmit ausgewie-
senen Experten zumThema „Ärztinnen
und Ärzte ausbilden für eine Gesund-
heitsversorgung der Zukunft“ rundete
die Eröffnungsfeierlichkeiten ab. Unter
derModerationvonJoachimMüllerJung
vonder FAZdiskutiertenVertreterInnen
von Universitäten, Wissenschaftsrat,
Kliniken, der Niedersächsischen Ärzte-
kammersowiederBundesvertretungder
Medizinstudierenden.
Für das Schlusswort trat Universitäts-
präsidentin Simon gemeinsam mit
VertreterInnen der drei Oldenburger
Krankenhäuser vor die Gäste. Durch die
ZusammenarbeitderUniversitätmitdem
KlinikumOldenburg,demEvangelischen
Krankenhaus Oldenburg unddemPius-
Hospital Oldenburg ist der neue univer-
sitätsmedizinische Standort Oldenburg
möglichgeworden.EngeKooperationen
mit der Karl-Jaspers-Klinik und mit nie-
dergelassenenÄrztInnender Region er-
gänzen die Universitätsmedizin.
Während sich die Gäste bei dem an-
schließenden Empfang austauschten,
war der prominenteste Gast des Tages
schonwieder unterwegs, um sich über
einweiteresfürdieRegionbedeutendes
Projekt zu informieren – über die Ent-
wicklung des JadeWeserPorts. (cdb)
Hohe Auszeichnungen
Prof. Dr. Werner
Damm (Foto), Ex-
perte für Sicher-
heitskritische Ein-
gebetteteSysteme,
ist zum Mitglied
derDeutschenAka-
demie der Tech-
nikwissenschaften (acatech) gewählt
worden. Damm ist nach Prof. Dr. Dr.
h.c.Hans-JürgenAppelrathdaszweite
acatech-MitgliedausOldenburg. Uni-
versitätspräsidentin Prof. Dr. Babette
Simon würdigte Damms Berufung
als hoheAuszeichnung seinerwissen-
schaftlichen Leistungen und als Aus-
zeichnungfürdenForschungsstandort.
Damm trage mit seiner innovativen
Forschungmaßgeblichdazubei, dass
die Oldenburger Informatik national
wieinternationalwahrgenommenwer-
de.BundesweitgehörenderAkademie
unter Schirmherrschaft von Bundes-
präsident JoachimGauck knapp 400
herausragendeWissenschaftlerInnen
aus den Natur-, Ingenieur- und Wirt-
schaftswissenschaftenan.acatechhat
denAnspruch,fachlichexzellenteund
weitsichtige Empfehlungen und Stu-
dien für Politik und Gesellschaft zu
erarbeiten.
Prof. Dr. Björn Pop-
pe (Foto), Experte
für Medizinische
Strahlenphysik, ist
vonder Deutschen
Gesellschaft für
Medizinische Phy-
sik (DGMP) mit
dem DGMP-Wissenschaftspreis aus-
zeichnet worden. Der renommierte
Preis wird an WissenschaftlerInnen
für ihre herausragenden Leistungen
und Verdienste umdie Medizinische
Physik vergeben. Poppe beschäftigt
mit der Erfassung und Bewertung
von Strahlendosen in der Strahlen-
therapie. Universitätspräsidentin
Prof. Dr. Babette Simon betonte, die
Auszeichnung Poppes unterstreiche
eindrucksvoll, wie durch eine gelun-
geneKooperationvonUniversitätund
Krankenhaus inOldenburg hervorra-
gendeForschungsergebnisseerbracht
würden.PoppehateineStiftungspro-
fessur des Pius-Hospitals Oldenburg
inne hat und leitet an der Universität
die Arbeitsgruppe „Medizinische
Strahlenphysik“. Der DGMP-Preis
ging indenVorjahrenanForscher der
Universitäten Tübingen, Heidelberg
und München.
Auch der Schiffsverkehr ist als ein transnationaler Prozess interessant für die ZenTra-Forscher.
Fotomontage: Per Ruppel