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UNI-INFO
39. Jrg. 6/12
I
n jedem australischen Sommer, von
Dezember bis Februar, gehen sie auf
Wanderschaft: die Larven der Korallen-
fische, millionenfach wenige Wochen
zuvor im australischen Great Barrier
Reef geschlüpft. Mit der Ebbe ins freie
Wasser, das so genannte Pelagial ge-
spült, beginnt ihre Reise. Sie erinnert an
die Wanderung von Lachsen, die zum
Laichen wieder an den Fluss zurück-
Der Geruch der Riffe
Die Larven der Korallenfische sind millimeterklein und finden doch über Kilometer in ihr Geburtsriff zurück. Die Biologin Gabriele
Gerlach war am australischen Great Barrier Reef und hat die Wanderungen der Tiere mit unterschiedlichen Methoden untersucht.
Fische im Great Barrier Reef: Wie orientieren sie sich, wie navigieren sie?
Foto: Gabriele Gerlach
Den Aufenthalt auf der Forschungsstation „One Tree Island“ hat das australische Wissenschaftsnetzwerk ANNiMS ermöglicht.
Foto: Gabriele Gerlach
kehren, in dem sie geboren wurden. Um
die Orientierungsleistungen der Koral-
lenfischlarven zu untersuchen, hat die
Oldenburger Biologin Prof. Dr. Gabriele
Gerlach kürzlich mehrere Wochen auf
der Forschungsstation „One Tree Is-
land“ am Great Barrier Reef verbracht.
Ermöglicht hat dies das australische
Wissenschaftsnetzwerk ANNiMS, das
sie in Anerkennung ihrer Arbeiten über
Korallenriffe, Migration und Orientie-
rung von Fischen als Visiting Scholar
2012 ausgewählt hatte. ANNiMS steht
für Australisches Nationales Netzwerk
für Marine Wissenschaft und ist ein
Kooperationsprojekt der Universitäten
in Townsville, Perth und auf der Insel
Tasmanien.
„Die Überlebenschancen der Korallen-
fischlarven sind im offenen Ozean trotz
aller Gefahren immer noch höher als im
Riff oder in der Nähe von erwachsenen
Fischen“, erklärt Gerlach. Es sei aber
immer noch ein ungelöstes Rätsel, wo
genau die Larven sich aufhalten und
wie weit sie sich vom Riff entfernen. Je
nach Art müssen sie aber nach einiger
Zeit wieder ein Riff finden, denn im of-
fenen Meer können die Winzlinge sich
nicht weiterentwickeln. Lange glaubte
man, es sei reiner Zufall, wohin die
Strömungen und Stürme die Larven
verdriften. Vor gut einem Jahrzehnt
erschienen dann die ersten Berichte,
dass viele Larven an das Riff ihrer
Geburt zurückkehren. Seit dieser Zeit
beschäftigt sich auch Gerlach mit dem
Orientierungsverhalten von Korallen-
rifffischen. Denn ohne eine spezielle
Sinnesleistung sei die Navigation zu-
rück in die heimatlichen Gewässer nicht
zu erklären, so die Wissenschaftlerin.
Um den Fischen auf die Spur zu kom-
men, nutzen australische Wissenschaft-
ler eine besondere Markierungsme-
thode: Sie setzen die Eier und frisch
geschlüpften Larven für wenige Stun-
den einem Antibiotikum aus. Dadurch
färbt sich der tägliche Wachstumsring
in den Gehörknöchelchen grün. Die
Heimkehrer können anhand ihrer Fär-
bung leicht identifiziert werden. Die
Wissenschaftler errechneten eine Rück-
kehrwahrscheinlichkeit von 35 bis 60
Prozent. Die Oldenburger Expertin für
Biodiversität und Tierevolution Gerlach
wählt eine andere Methode, um die
Wanderungen der Fischlarven zu verfol-
gen: „Ähnlich wie Kriminalisten Täter
durch DNA-Spuren identifizieren, lässt
sich die DNA Mikrosatellitenanalyse
nutzen, um die Herkunftspopulation der
Larven zu bestimmen.“ Als Versuchs-
tiere dienten Kardinalfische (Ostorhin-
chus doederleini). Gerlachs Hypothese:
Wenn die Larven an ihr Geburtsriff
zurückkehren, dann müssten sie als
erwachsene Fische auch genetisch von
ihren Artgenossen an den benachbarten
Riffen unterscheidbar sein. Bei ihren
Untersuchungen in Australien konnte
die Biologin genau das nachweisen:
Innerhalb eines Riffs sind die Fische
nah miteinander verwandt, die Artge-
nossen in Nachbarriffen unterscheiden
sich genetisch.
Die Frage bleibt: Wie finden die nur
wenige Millimeter großen Fischlar-
ven, die sich oft Kilometer weit ent-
fernen, zurück zu ihrem Geburtsriff?
Bereits 2007 hatte Gerlach in einer
aufsehenerregenden Publikation in der
renommierten amerikanischen Fach-
zeitschrift PNAS (Proceedings of the
National Academy of Sciences) eine
erste Antwort gegeben: Zusammen
mit dem australischen Meeresbiologen
Michael J. Kingsford von der James
Cook University in Townsville und
dem amerikanischen Wissenschaftler
Jelle Atema von der Boston University
fand sie heraus, dass die Larven über
einen Geruchssinn verfügen, der ihnen
bei der Navigation im Meereswasser
hilft.
„Wenn sie nach der für ihre Art ty-
pischen dreiwöchigen Wanderung im
offenen Ozean wieder auf dem Heim-
weg sind, zeigen die Larven eine Ge-
ruchspräferenz für ihr Geburtsriff. Das
Wasser, das bei Ebbe aus der Lagune
der Riffe fließt, trägt demnach Riff-
typische Geruchsmerkmale“, erläutert
Gerlach. In einer Versuchsanordnung
präsentierten die WissenschaftlerInnen
jungen Fischen Wasser von fünf neben-
einander liegenden Riffen des Great
Bar r ier Reefs. „Die Larven bevor-
zugten das Wasser aus ihrer genetisch
bestimmten Heimatlagune gegenüber
Wasserproben von anderen Riffen. Sie
riechen den spezifischen‚Duft’ ihres
Riffs und können zielgerichtet darauf
zu schwimmen“, so die Wissenschaftle-
rin. Allerdings reiche die olfaktorische
Erklärung nicht aus. Der Geruch der
Riffe kann sich im Ozean nicht belie-
big weit ausbreiten. Wenn die Larven
von den Strömungen kilometerweit
abgetrieben werden, kann ihnen ihr
Geruchssinn irgendwann nicht mehr
den Weg weisen.
Wie funktioniert dann die Orientierung
der Fische über große Strecken hinweg?
Die Frage ist noch unbeantwortet. Ger-
lach versucht, das Rätsel zu lösen – zu-
sammen mit dem Oldenburger Biologen
und Experten für Zugvogelnavigation,
Prof. Dr. Henrik Mouritsen. Die beiden
Oldenburger Forscher fragen sich: Sind
bei Fischen ähnliche Mechanismen am
Werk wie bei der Langstreckennaviga-
tion von Zugvögeln? Auf die Antwort
darf man gespannt sein. (mr)
Gabriele Gerlach
studierte Biologie
an der Universität
Konstanz und pro-
moviertedort 1990.
Bis 1994war sieGe-
schäftsführerin des
Schweizer Umwelt-
unternehmensBiConAG. ImAnschluss
forschte sie als Wissenschaftliche Mit-
arbeiterinundForschungsgruppenlei-
terin zur Verhaltens- und Evolutions-
biologie an der Universität Konstanz.
Hier habilitierte sie sich2001. Seit 2002
war GerlachWissenschaftlerinamMa-
rine Biological Laboratory in Woods
Hole (USA) sowie Außerordentliche
Professorin an der Universität Boston
(USA). Dem Ruf an die Universität Ol-
denburg folgte sie 2007.
UNI-INFO: Frau Gerlach, wie sind
Sie eigentlich zu Ihrem Forschungs-
thema – Orientierung von Fischen
– gekommen?
GERLACH: Tierwanderungen haben
mich schon immer fasziniert. Bei
vielen Tierarten stellen wir fest, dass
die Verteilung trotz wochenlanger
Wanderung nicht zufällig ist. Das
bedeutet, dass es Mechanismen geben
muss, wie die Tiere sich orientie-
ren. Vielleicht kommt mein Interesse
aber auch daher, dass ich mich hier
im flachen Norddeutschland ständig
verlaufe und wissen will, wie man
oder Tier sich orientieren kann ohne
Computer-Navigationssystem.
UNI-INFO: Um Ihre These vom Ge-
ruchssinn der Larven zu untermau-
ern, haben Sie ihnen verschiedene
Wasserproben vorgesetzt. Wie kam
es zu diesem Ansatz?
GERLACH: Die Lagune der For-
schungsstation „One Tree Island“
ist während der Ebbe vom offenen
Ozean durch die Riffe richtig abge-
schlossen. Wenn das Wasser dann
nach einem Ebbe-Flut Zyklus wieder
abfließt, hat sich das Lagunenwasser
eingetrübt. Man sieht dann vom Hub-
schrauber aus, wie es sich über zwei
Kilometer weit als Strom ins Meer
ausbreitet. Das gab dann die Idee,
dass die Fische vielleicht riechen,
was wir vom Hubschrauber aus sehen
können.
UNI-INFO: Wann reisen Sie wieder
ans Great Barrier Reef ?
GERLACH: Ich fahre im nächsten
Januar und Februar zurück – pünktlich
zur Wanderung der Korallenfischlar-
ven. Aber dieser Australienaufenhalt ist
nicht nurWissenschaftlern vorbehalten.
Zwischen der Universität Oldenburg
und der James Cook University gibt
es ein Austauschprogramm. Jedes
Jahr können zwei StudentInnen zum
Beispiel der Biologie oder Marinen
Umweltwissenschaften in Australien
studieren, was auch Exkursionen ans
Great Barier Reef einschließt.
„Tierwanderungen haben
mich schon immer fasziniert“