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UNI-INFO
39.
Jrg. 7/12
Wissenschaft kommt direkt zu den Bürgern
Schlaues Haus in der Oldenburger Innenstadt eröffnet / Programm der kommenden Monate steht / Leitthema „Klima und Energie“
I
n den Polarregionen wirkt sich der
Einfluss des Menschen auf das Kli-
ma besonders stark aus. Das Meereis
geht zurück, die Temperatur des Meer-
wassers steigt. Wie reagieren Meeres-
organismen auf die Umweltverände-
rungen? PolarTime heißt das neue virtu-
elle Helmholtz-Institut, das sich dieser
Frage annimmt. Koordinator ist das
Alfred-Wegener-Institut für Polar- und
Meeresforschung in der Helmholtz-
Gemeinschaft (AWI). Kooperations-
partner sind die Universität Oldenburg,
das Helmholtz-Zentrum für Umwelt-
forschung (UFZ) in Leipzig sowie die
italienische Universität Padua und das
australische Antarktisinstitut in Hobart
(
Tasmanien).
PolarTime ist eines von elf neuen virtu-
ellen Instituten der Helmholtz-Gemein-
schaft. Es wird mit etwa drei Millionen
Euro aus dem Impuls- und Vernetzungs-
fonds der Helmholtz-Gemeinschaft ge-
fördert, Laufzeit: fünf Jahre. Im Mittel-
punkt der Forschungen steht der Antark-
tische Krill, ein garnelenartiges Krebs-
tier. Er dient als Modellorganismus für
eine polare Planktonart, die sich an die
extremen Bedingungen angepasst hat.
Der Krill nimmt im Nahrungsnetz des
Südozeans eine Schlüsselrolle ein. Er
hat im Laufe der Evolution eine Viel-
zahl biologischer Rhythmen entwickelt.
Fast alle Organismen, vom Einzeller bis
zum Menschen, haben sich an den pe-
riodischen Wechsel von Tag und Nacht
durch die Entwicklung einer inneren
biologischen Uhr angepasst. Diese
Uhr synchronisiert das Lebewesen mit
seiner Umwelt. Doch die innere Uhr
muss immer wieder gestellt werden.
Dies geschieht über sogenannte äußere
„
Zeitgeber“ wie die Tageslichtlänge
(
Photoperiode).
Schwerpunkt der Forschung ist die Phy-
siologie. „Wir untersuchen beispiels-
weise, unter welchen Bedingungen
Gene und Enzyme aktiv sind und wie
diese durch die innere Uhr gesteuert
werden“, sagt PolarTime-Sprecherin
PD Dr. Bettina Meyer vom AWI. Ihr
Kollege Dr. Mathias Teschke von der
Charité-Universitätsmedizin Berlin hat
im Rahmen eines Forschungsprojekts
der Deutschen Forschungsgemeinschaft
erste Erkenntnisse über die innere Uhr
des Krills gesammelt. „Die erzielten
Erkenntnisse über Krill geben uns eine
fundierte Grundlage, um die innere Uhr
und ihre Wirkungsweise in anderen po-
larenMeeresorganismen zu untersuchen,
die eine zentrale Funktion in polaren
Ökosystemen einnehmen“, so Teschke.
Die innere Uhr des Planktons entschlüsseln
Zwei Arbeitsgruppen der Universität Oldenburg forschen am neuen virtuellen Helmholtz-Institut „PolarTime“
WissenschaftlerInnen zweier Arbeits-
gruppen der Universität Oldenburg zie-
hen aus diesen Grundlagen Rückschlüs-
se auf die größeren Zusammenhänge
im antarktischen Ökosystem. Evolu-
tionsbiologen um Prof. Dr. Gabriele
Gerlach untersuchen, ob sich die Krill-
Populationen im Osten und Westen der
Antarktis voneinander unterscheiden,
denn in der Westantarktis gibt es we-
sentlich größere Klimaschwankungen
als im Osten. Die Arbeitsgruppe von
Prof. Dr. Bernd Blasius speist die phy-
siologischen Daten in mathematische
Modelle ein. So können die Forscher die
Auswirkungen verschiedener Szenarien
der Klimaveränderung auf die innere
Uhr und die daran gekoppelten Lebens-
funktionen in Meeresorganismen testen.
„
Mit der Einrichtung einer gemeinsamen
Professur für ‚Biologische Prozesse und
Biodiversität in Polarregionen’ möchten
wir in Zukunft langfristig mit der Uni-
versität Oldenburg kooperieren“, sagt
Prof. Dr. Karin Lochte, Direktorin des
AWI. Desweiteren soll eine gemeinsame
Arbeitsgruppe „Marine Chronobiologie“
aufgebaut werden, in die Teschke seine
Expertise einbringt.
„
Um das innovative Forschungsgebiet
von PolarTime in die Lehre einzubrin-
gen, wird an der Universität Oldenburg
eine Summer School ‚Chronobiology
in marine Environments’ eingerichtet“,
berichtet Prof. Dr. Babette Simon, Prä-
sidentin der Universität Oldenburg. Zu-
sätzlich sind ein Austauschprogramm
von Masterstudierenden und Doktoran-
den mit den internationalen Kooperati-
onspartnern sowie eine Ringvorlesung
über verschiedene Bereiche innerhalb
der Chronobiologie geplant.
D
ie Wissenschaft in das Herz Ol-
denburgs zu tragen und mit den
Bürgerinnen und Bürgeraus Stadt und
Region in einen noch stärkeren Dialog
zu treten – das ist unser gemeinsames
Ziel. Mit dem ‚Schlauen Haus’ haben
wir dafür den Grundstein gelegt“, er-
klärte Universitätspräsidentin Prof.
Dr. Babette Simon anlässlich der Er-
öffnung des Wissenschaftshauses am
Oldenburger Schlossplatz Ende Sep-
tember. Zu den Gästen zählte auch
Dr. Josef Lange, Staatssekretär im
Niedersächsischen Wissenschaftsmi-
nisterium. Die Idee für das Schlaue
Haus entstand 2009, als der Stifter-
verband für die Deutsche Wissenschaft
Oldenburg den Titel „Stadt der Wis-
senschaft“ verlieh. Die BürgerInnen
erlebten ein Jahr lang „Wissenschaft
zum Anfassen“.
„
Das Interesse war überwältigend.
Mit dem ‚Schlauen Haus’ möchten
wir unmittelbar daran anknüpfen.
Wissenschaft ist kein Selbstzweck,
sondern muss allen zugänglich sein.
Mit der verständlichen Vermittlung
kommen wir unserem gesellschaft-
lichen Bildungsauftrag nach“, betonte
Dr. Elmar Schreiber, Präsident der Jade
Hochschule.
„
Mit mehr als 670 Quadratmetern
Nutzfläche sowie modernsten Tagungs-
räumen und innovativer Medientech-
nik haben wir ideale Voraussetzungen
geschaffen, um aktuelle Forschungs-
ergebnisse zu präsentieren und zu
diskutieren“, so Dr. Petra Buchholz,
Geschäftsführerin der Schlaues Haus
Oldenburg GmbH.
Im ersten Jahr steht das Thema „Klima
und Energie“ im Mittelpunkt. Zwei
Ausstellungsflächen bieten künftig
Kindern, Jugendlichen und Erwach-
senen Wissenschaft zum Anfassen
und Mitmachen. Zusätzlich laden die
beiden Hochschulen regelmäßig zu
Vorträgen und Workshops zu aktuellen
Forschungsthemen ein. Das Schlaue
Haus schafft damit eine Plattform für
Wissenschaft und Kommunikation.
Das Programm bis zum Jahresende
steht bereits fest und ist im Internet
zu finden.
Knapp zwei Jahre dauerte es von der
Grundsteinlegung bis zur Eröffnung
des Wissenschaftshauses: Ein denk-
malgeschütztes Bürgerhaus – eines der
ältesten Häuser Oldenburgs – wurde
unter Einsatz innovativer und nach-
haltiger Technologien saniert. Ein
lichtdurchfluteter Neubau mit einer
Glasfront am Schlosswall ergänzt den
historischen Altbau. Das Schlaue Haus
verknüpft somit Elemente neuer und
alter Architektur. Modernste Gebäu-
detechnologien wie beispielsweise
Photovoltaik-Module – angebracht
auf dem Dach und an der Fassade –
machen das Wissenschaftshaus fit für
die Zukunft. BesucherInnen wird die
Lichtfuge auffallen, die sich vom Bo-
den bis zum Dach durch das gesamte
Gebäude zieht. Sie sorgt auch dort
für Tageslichteinfall, wo normaler-
weise Dunkelheit herrschen würde.
Die kaminartige Form der Lichtfuge
dient außerdem der optimalen und
natürlichen Belüftung des gesamten
Gebäudes. Weitere „schlaue Technik“:
Energie-Monitore, die aktuelle und
periodische Verbrauchs- und Ertrags-
zahlen zeigen, und Anwesenheits-
sensoren, die die Beleuchtung und
Belüftung steuern.
Zur feierlichen Eröffnung des Schlauen
Hauses gab es eine „Schlaue Meile“
auf dem Schlossplatz. Wissenschaft-
liche Arbeitsgruppen und Institutionen
stellten ihre Arbeit vor. Führungen
durch das Wissenschaftshaus, Kurz-
vorträge und ein Bühneprogramm für
Jung und Alt standen ebenfalls auf dem
Programm.
Getragen wird die Schlaues Haus Ol-
denburg gGmbH von der Universität
Oldenburg und der Jade Hochschule.
Möglich wurde die Einrichtung durch
die Unterstützung des Landes Nie-
dersachsen und der regionalen Wirt-
schaft: Die EWE AG, die Bremer Lan-
desbank, die Landessparkasse zu Ol-
denburg, die Öffentliche Versicherung
Oldenburg und die Oldenburgische
Landesbank haben sich engagiert.
/
UNI-INFO: Ein „Schaufenster der
Wissenschaft“ soll das Schlaue Haus
sein. Was muss man sich darunter
vorstellen?
BUCHHOLZ: Der Elfenbeinturm
war gestern: Wir wollen Wissen-
schaft zum Anfassen, mit Vorträgen,
Konferenzen oder Ausstellungen.
Uns ist wichtig: Interessierte Bürger
sollen die Möglichkeit bekommen,
sich an den Diskussionen zu betei-
ligen, wenn Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler ihre Ideen und
Forschungsansätze präsentieren.
UNI-INFO: Der Bau des Schlauen
Hauses ist einzigartig: Eines der älte-
sten Häuser der Stadt geht eine Ver-
bindung mit modernster Architektur
ein – eine technische und architekto-
nische Herausforderung?
BUCHHOLZ: Ja, besonders bei der
Energieeffizienz war die Kombi-
nation von Alt und Neu eine große
Herausforderung. Wir haben auf-
wendige Restaurierungsarbeiten
vorgenommen. Einige Exponate
präsentieren wir in einer Daueraus-
stellung.
„
Der Elfenbeinturm war gestern“
Zwei Fragen an Geschäftsführerin Petra Buchholz
Mehr als 670 Quadratmeter für die Wissenschaftskommunikation: Das Schlaue Haus am Schlossplatz (Foto oben) und vom Schlosswall aus
gesehen (Foto rechts).
Fotos: Markus Hibbeler