Presse & Kommunikation
EINBLICKE NR.24 | OKTOBER 1996 |
![]() |
|
FORSCHUNGSMAGAZIN DER CARL VON OSSIETZKY UNIVERSIT�T OLDENBURG
|
Inhalt
- Von Schwarzen Flecken und Schwarzen Fl�chen
- Konflikte zwischen �kologie und Urbanit�t
- Fernerkundung - nah gesehen
- Im Visier der Stasi: Katholische Studentengemeinden
- "Auf den Gro�m�rkten ... bildet das Oldenburger Schwein eine Klasse f�r sich"
- Nachrichten der Universit�tsgesellschaft
- Notizen aus der Universit�t
- Summaries
Im Visier der Stasi: Katholische Studentengemeinden
von Friedrich W. Busch und Peter-Paul StraubeWeil sie �ber viele Westkontakte verf�gten, waren die Studentengemeinden der DDR ein bevorzugtes Ziel des Staatssicherheitsdienstes. Dabei ging es nicht nur darum, das kritische Potential auszuspionieren, sondern auf die Arbeit der Studentengemeinden unmittelbar Einflu� zu nehmen. Das geschah teilweise mit Erfolg, wie der nachfolgende Beitrag zeigt, der im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gef�rderten Projektes "Katholische Studentengemeinde (KSG) in der DDR" entstanden ist.
Das Ministerium f�r Staatssicherheit der DDR (MfS) suchte als "Schild und Schwert der SED" und als "ein spezielles Organ der Diktatur des Proletariats" die Politik der SED und deren Ideologie �ber fast 40 Jahre in allen gesellschaftlichen Bereichen durchzusetzen und zu stabilisieren. Das MfS war somit ein konstitutives Herrschaftsinstrument der SED. Deswegen mu� der immer wieder diskutierten Auffassung, das MfS sei - insbesondere in den 80er Jahren - ein "Staat im Staate" gewesen, deutlich widersprochen werden, wenn man nicht die historische Verantwortung der SED verschleiern will.
Das MfS in Hochschule und Kirche
Die vielf�ltige Einflu�nahme des Staatssicherheitsdienstes auf das Hochschulwesen war nicht zuletzt eine Konsequenz aus dessen spezifischer Transformierung nach sowjetischem Vorbild Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre. Der totalit�re Anspruch, alle Studenten weltanschaulich im Sinne des Marxismus-Leninismus (M/L) erziehen zu wollen und davon abweichende Anschauungen nicht zu tolerieren, f�hrte mehr oder weniger zwangsl�ufig zum Einsatz eines Spitzelwesens.
Christliche Studierende, die als solche an den Universit�ten und Hochschulen bekannt waren, durften sich in vielen F�llen einer besonderen Beachtung durch die SED-Kreisleitung ihrer Hochschule sicher sein. In einer mehrseitigen "Einsch�tzung des Einflusses und der staatsb�rgerlichen Haltung religi�s gebundener Studenten unserer Universit�t", die im M�rz 1977 von der SED-Kreisleitung der TU Dresden f�r das Direktorat f�r Studienangelegenheiten angefertigt wurde, wird auch zur Frage Stellung genommen, wie sich religi�s gebundene Studierende im Hochschulalltag bemerkbar machten:
"�bernahme von gesellschaftlichen Funktionen in Seminargruppen und Wohnheimen ... Versuche, unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit zu provozieren ... Unter dem Deckmantel der Glaubensfreiheit versucht man, gesellschaftlichen Verpflichtungen zu entgehen ... mit guten fachlichen Leistungen. Damit gewinnen sie gro�en Einflu� in der Gruppe und k�nnen Genossen-Studenten, die schlechtere Leistungen haben, zur�ckdr�ngen ... Die kirchlich gebundenen Kr�fte nutzen jede Gelegenheit, um Einflu� auf das politische Niveau in der Gruppe zu nehmen ... Sie nutzen jede politische Anonymit�t, um unerkannt ihren Einflu� geltend zu machen."
Diese Punkte werden jeweils mit Beispielen belegt; dazu wird die Arbeit der Studentengemeinden dargestellt und abschlie�end u.a. geschlu�folgert: "Die atheistische Propaganda sowohl in den Lehrveranstaltungen des ML, als auch in interessanten Foren au�erhalb des Lehrbetriebes ist so zu verst�rken, da� der gezielten Arbeit der Kirche offensiv begegnet werden kann."
Am folgenreichsten f�r diese sowie die Studentengemeinden insgesamt war jedoch die "Bearbeitung" durch das MfS. In einem Dienstgespr�ch im November 1966 stellte der Minister f�r Staatssicherheit, Erich Mielke, fest: "Die Beeinflussung der jugendlichen Intelligenz erfolgt weiter vor allem im Rahmen der evangelischen und katholischen Studentengemeinden an den Universit�ten, Hoch- und Fachschulen. An den regelm��igen Veranstaltungen der Studentengemeinden nehmen h�ufig zahlreiche jugendliche G�ste teil, so da� der H�rerkreis bei interessanten Veranstaltungen bis zu 500 Personen erfa�t. Ich erinnere in diesem Zusammenhang noch einmal an meine Ausf�hrungen �ber die Ma�nahmepl�ne, wo ich besonders auf die Bearbeitung dieser ideologisch zersetzend wirkenden Konzentration hinwies. Die reaktion�rsten Mitglieder dieser studentischen Organisationen sind in 'Kernkreisen' zusammengefa�t, von denen ma�geblich die negative Beeinflussung und Organisierung der T�tigkeit der evangelischen und katholischen Studentengemeinden ausgeht."
An der "Bearbeitung dieser ideologisch zersetzend wirkenden Konzentration" hatte das MfS auch deshalb ein besonderes Interesse, weil die Studentengemeinden zum einen zu jenen kirchlichen Einrichtungen z�hlten, die ein hohes Ma� an "Feindber�hrung", an Westkontakten, hatten und deren Mitglieder zum anderen in der Regel Studierende an einer staatlichen Universit�t, einer Hoch- oder Fachschule waren.
Inoffizielle Mitarbeiter und ihre Akten
Um die Einflu�nahme der Stasi auf die Studentengemeinden zu verstehen und die dabei entstandenen Akten sicher interpretieren zu k�nnen, mu� man folgendes wissen: Auch im Hochschulbereich z�hlten die Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) zu den Hauptakteuren der Stasi-Einflu�nahme; sie wurden normalerweise zur Mitarbeit angeworben.
Die sog. IM-Akten bestehen in der Regel aus zwei Teilen. Aus der Personalakte (Teil I) ist zun�chst der sog. IM-Vorlauf ersichtlich, aus dem u.a. hervorgeht, auf welche Weise eine Person geworben wurde (z.B. auf der Basis der �berzeugung und Freiwilligkeit, der materiellen Interessiertheit oder durch Erpressung), welchen Decknamen sie bekommen hat und welche Legende bei der Werbung ggf. eingesetzt wurde. Au�erdem enth�lt dieser Teil in vielen F�llen eine handschriftliche Verpflichtungserkl�rung. In der Personalakte sind zudem Analysen �ber die Arbeit des IM und dessen Einsatzm�glichkeiten zu finden.
Die Arbeitsakte (Teil II) enth�lt die Ergebnisse der Aktivit�ten eines IM in Form von Berichten des F�hrungsoffiziers �ber die Treffen, vom IM verfa�te Berichte �ber Personen oder Vorg�nge, Abschriften von Tonbandaufzeichnungen, die bei den Treffen konspirativ aufgezeichnet oder von Inoffiziellen Mitarbeitern bewu�t besprochen wurden, sog. Wanzen-Protokolle (Abschriften von Abh�rma�nahmen), aufgrund der Informationsvorlagen angefertigte Analysen und Ma�nahmepl�ne, auf deren Basis weitere Operative Personenkontrollen (OPK) und Operative Vorg�nge (OV) eingeleitet wurden, sowie Materialien, die der IM dem F�hrungsoffizier �bergeben hatte, z.B. Programmhefte der Studentengemeinden, Fotos oder Protokolle von Gemeinderatssitzungen. In manchen F�llen wurden auch ein Teil III, in dem die Quittungen der finanziellen Zuwendungen gesammelt wurden, sowie ein Teil IV, u.a. f�r Auszeichnungen, angelegt.
Neben der Informationsbeschaffung hatten die IM in vielen F�llen den Auftrag, sich in Entscheidungs- und Organisationsprozesse in den Studentengemeinden aktiv einzuschalten - z.B. bei der Auswahl von Themen und Referenten f�r Bildungsveranstaltungen oder als Quartiergeber f�r Besucher aus der Bundesrepublik.
Zur Auswertung von Stasi-Akten
Der Wahrheitsgehalt von IM-Akten ist grunds�tzlich nicht in Frage zu stellen. Der Bundesbeauftragte f�r die Stasi, Joachim Gauck, unterstreicht dies: "Da� Mitarbeiter ihre Phantasieprodukte gestalten konnten, um so eine Pr�mie zu bekommen oder bef�rdert zu werden, galt nicht f�r Berichte �ber Arbeitsergebnisse der IM. Andere Teile des MfS mu�ten mit diesen Ergebnissen weiterarbeiten. Das sorgte f�r eine gegenseitige Kontrolle, au�erdem gab es innerhalb des MfS Kontrollinstanzen." Dennoch mu� die Auseinandersetzung mit dem Archivgut des MfS �u�erst sorgf�ltig und differenziert erfolgen. Die einzelnen literarischen Gattungen (IM-Berichte, von MfS-Mitarbeitern verfa�te Treffberichte, Informationen, Ma�nahmepl�ne etc.) sind einer eingehenden Textkritik zu unterziehen. Dabei sind der Vorgang ihrer Entstehung, die damit verbundene Intention, die Verfasserschaft sowie m�gliche redaktionelle Schichten zu erfassen. Zu diesen text- und literarkritischen Analysen m�ssen Ergebnisse aus Recherchen in Archiven der SED, aber auch der Kirche, der CDU und der staatlichen Organe zum Vergleich herangezogen sowie Zeitzeugen geh�rt werden. Erst dann ist eine spezifische Hermeneutik der Materialien des MfS sowie im Einzelfall ein differenzierter Umgang mit Schuld m�glich.
In einer uns vorliegenden MfS-Studie zum Thema "Erfahrungen und Probleme bei der langfristigen Entwicklung und des Einsatzes von Inoffiziellen Mitarbeitern unter reaktion�ren Kirchenkreisen" geht es insbesondere um die Einschleusung von IM in den kirchlichen Raum sowie um deren sp�tere "Herausl�sung".
Es wird u.a. von einem IM berichtet, der Mitte der 80er Jahre auf die Katholische Studentengemeinde (KSG) Zwickau angesetzt war. Ziel seines Auftrages war zun�chst die Herstellung vertrauensvoller Verbindungen zum Studentenseelsorger und den Sprechern. Diese sollte u.a. durch folgende Verhaltensweisen und Handlungen des IM erreicht werden: "Loyales, teilweise pazifistisches Auftreten gegen�ber dem Lehrk�rper und den Studenten seiner Seminargruppe, um sein Verhalten im Rahmen der KSG glaubhaft zu legendieren. Dazu hat er seine FDJ-Arbeit passiv zu gestalten und unter Begr�ndung seiner kirchlichen Bindung um seine Abl�sung als Sekret�r der FDJ-Gruppe zu ersuchen ... In der christlichen Buchhandlung Kauf von religi�sen Materialien, wie beispielsweise 'Kreuz', 'Das alte Testament', 'Die gute Nachricht', usw., um ... sich auf die Taufe vorzubereiten."
Nachdem dieser IM im Sinne des MfS erfolgreich in der KSG eingesetzt worden war, erhielt er von seiner Arbeitsstelle - er hatte sein Studium abgebrochen und arbeitete als Hilfsarbeiter - die M�glichkeit eines erneuten Studiums, die jedoch von der Mitgliedschaft in der SED abh�ngig gemacht wurde.
Aktivit�ten des MfS in den Studentengemeinden
Im Kontext der Transformation der Universit�ten und Hochschulen in der DDR Anfang der 50er Jahre wurden die Studentengemeinden aus dem universit�ren Raum "unter das Dach der Kirchen" gedr�ngt, denn sie standen der Erziehung der Studierenden im Sinne der SED im Wege. Es wurde deshalb durch das MfS versucht, die Arbeit der Studentengemeinden zu kontrollieren und deren Mitglieder einzusch�chtern. Aufgrund der immer wieder vorkommenden F�lle, in denen der Staatssicherheitsdienst Mitglieder der Studentengemeinde aufforderte und zum Teil dr�ngte, sich f�r seine Aufgaben zur Verf�gung zu stellen, sah sich der Leipziger KSG-Pfarrer Wolfgang Trilling im Jahre 1963 veranla�t, einen "Offenen Brief" zu verfassen, der in den R�umen der Studentengemeinde ausgeh�ngt und an die anderen katholischen Studentengemeinden weitergereicht wurde. Trilling selbst brachte ihn zur Leipziger Bezirksbeh�rde des MfS.
"Erkl�rung: Es kommen immer wieder F�lle vor, in denen der Staatssicherheitsdienst Mitglieder der Studentengemeinde auffordert und zum Teil dr�ngt, sich f�r seine Aufgaben, auch f�r Erkundigungen �ber die Arbeit der Studentengemeinde zur Verf�gung zu stellen. Dazu m�chte ich folgendes erkl�ren:
- Die Veranstaltungen der Studentengemeinde sind �ffentlich, das Monatsprogramm ist in allen katholischen Kirchen von Leipzig ausgeh�ngt. G�ste, die sich dem Studentenpfarrer bekannt machen, sind jederzeit willkommen.
- Die Studentengemeinde geh�rt zum seelsorglichen Verantwortungsbereich des Bischofs von Meissen, besitzt eine von ihm verfa�te Satzung und wird von seiner Autorit�t getragen. F�r Ausk�nfte �ber die seelsorgliche Arbeit im allgemeinen und �ber die einzelnen Veranstaltungen der Gemeinde ist allein der von ihm eingesetzte Studentenpfarrer zust�ndig, an den bei Anfragen regelm��ig zu verweisen ist.
- �ber private Auffassungen und die Gesinnung von einzelnen Mitmenschen planm��ig Nachrichten zu sammeln und staatlichen Organen weiterzugeben, ist sittlich nicht erlaubt. Das verbietet
- nach dem nat�rlichen Sittengesetz das Gebot, die Ehre des N�chsten zu sch�tzen,
- nach den allgemeinen Menschenrechten das Prinzip der Gedanken- und Gewissensfreiheit,
- nach der christlichen Ethik das Gebot der N�chstenliebe.
- Sofern es sich nicht um die Aufkl�rung eines Verbrechens handelt, ist jedem Ansinnen auf eine oben beschriebene Mitarbeit von Anfang an entschlossener Widerstand entgegenzusetzen.
- Es empfiehlt sich, in solchen F�llen zur Beratung und Unterst�tzung den Studentenpfarrer zu informieren. Die oft auferlegte Schweigepflicht bindet im Gewissen nur dann, wenn sie in v�lliger Freiheit und aus eigenem Entschlu� �bernommen worden ist.
Leipzig, den 23. November 1963
gez. Wolfgang Trilling, Studentenpfarrer."
In der Praxis war es Studierenden in der Tat in den meisten F�llen m�glich, �ber eine Dekonspiration den Werbeversuchen des MfS zu entkommen. Von den 283 Respondenten einer schriftlichen Befragung, die wir 1992/93 durchf�hrten, gaben 4 % an, da� sie - ohne Erfolg - f�r eine Mitarbeit beim MfS geworben wurden. Auf die Frage "Sind Ihnen Disziplinarverfahren oder Exmatrikulationen mit politischem Hintergrund, �bergriffe des MfS, die in Zusammenhang mit einer KSG-Zugeh�rigkeit stehen, bekannt?", antworteten 272 Teilnehmer unserer Befragung - davon 33 % mit "ja" und 67 % mit "nein".
Operativer Vorgang "Schild"
Eine der aufwendigsten Aktionen des MfS auf eine katholische Studentengemeinden war der Operative Vorgang (OV) "Schild", bei dem von 1969 bis 1974 die KSG Leipzig "bearbeitet" wurde. Die bisher aufgefundenen Materialien bestehen aus 3 B�nden, 14 Nebenb�nden sowie einer Mappe mit Briefen. Im Beschlu� zur Einleitung des Operativen Vorlaufs vom 5. September 1969 wird als Grund daf�r der Verdacht der Bildung einer Gruppe in der KSG Leipzig genannt, die sich f�r �hnliche Verh�ltnisse wie 1968 in der CSSR engagiere und deshalb mit staatsfeindlicher Hetze in Erscheinung trete. Beim sog. Messetreffen w�hrend der Leipziger Fr�hjahrsmesse mit Studierenden aus der Bundesrepublik im M�rz 1973 waren z.B. mindestens sechs IM im Einsatz, die das MfS fast "rund um die Uhr" mit Informationen �ber die Themen der Gespr�che und Vortr�ge, �ber Teilnehmerzahlen und auff�llige Diskutanten versorgten; somit war dem MfS die M�glichkeit eines umfassenden Vergleichs der Informationen gegeben. Im August 1974 wurde, den Vorgang abschlie�end, festgestellt, da� vor allem aufgrund der Verhaftung von vier ehemaligen KSG-Mitgliedern im November 1971, von personellen Ver�nderungen in der Leitung der KSG Leipzig und einer vom Mei�ner Bischof Schaffran im Juli 1973 ausgesprochenen Empfehlung, in den KSG-Veranstaltungen politische Themen nicht zu behandeln, sich die weitere "Bearbeitung" des OV "Schild" er�brige.
"Deckname Lyrik"
Der Staatssicherheitsdienst versuchte �ber die IM nicht nur die Arbeit der Studentengemeinden auszuspionieren, sondern auch mitzugestalten. Dies betraf auch Veranstaltungen, von denen eigentlich zu erwarten gewesen w�re, da� das MfS daran interessiert war, diese zu verhindern. Denn zu den Hauptaufgaben eines IM geh�rte die Verhinderung von "�ffentlichkeitswirksamen Aktivit�ten feindlich-negativer Kr�fte".Beispiel: Am 18. Februar 1975 fand im Rahmen des von der ESG und der KSG Leipzig gemeinsam durchgef�hrten Zwischensemesterprogramms ein "Reiner-Kunze-Abend" statt. Der Lyriker Kunze - vom MfS als �u�erst "feindlich-negativ" eingestuft - war in den 70er Jahren ein gern gesehener Gast in christlichen Jugend- und Studentengruppen. In einem Bericht des IM "Horst", den Kunze in seinen Stasiakten gefunden und auszugsweise in einem kleinen Band mit dem Titel "Deckname Lyrik" (Frankfurt 1990) ver�ffentlicht hat, ist �ber diesen Abend u.a. zu lesen: "Anwesend waren etwa 250 Personen, darunter R. Kunze und Frau ... Der Verlauf best�tigte, da� bei ... unsere Gesellschaft in Frage stellenden Texten oft spontan Beifall bekundet wurde (vergl. Mitschnitt)". IM "Horst", Schauspielstudent und Mitglied der KSG Leipzig, hatte diesen Abend vorbereitet und anschlie�end �ber einen schriftlichen Bericht und Tonbandmaterialien dem MfS die Reaktionen der Studierenden auf Kunzes Texte mitgeteilt.
Dieser IM wurde in die Leipziger KSG eingeschleust. Er arbeitete von 1969 an auf freiwilliger Basis und aus �berzeugung sowie f�r umfangreiche finanzielle Zuwendungen als - zeitweise halbamtlicher - IM und kehrte im Auftrag des MfS im Jahre 1980 von einer Besuchsreise in die Bundesrepublik nicht in die DDR zur�ck; er hatte es "�bernommen", im Westen u.a. die KSG Freiburg und den Frankfurter Fischer Verlag zu "bearbeiten".
Studentenpfarrer arbeitet f�r das MfS
Neben der KSG Leipzig, die vor allem aufgrund ihrer Kontaktm�glichkeiten mit Mitgliedern westdeutscher Studentengemeinden �ber die mit weniger Formalit�ten m�gliche Einreise aus Anla� der Leipziger Messen f�r das MfS von besonderem Interesse war, galt das Interesse der Stasi der KSG in Ostberlin - nicht nur wegen der besonderen Einreisekonditionen in Berlin, sondern auch aufgrund des �berwiegend �ber diese KSG gelaufenen Kontaktes zum West-Berliner Bildungszentrum f�r katholische Studierende und der vielf�ltigen Veranstaltungen im Bildungshaus der Berliner Di�zese in der Pappelallee in Ost-Berlin.�u�erst erfolgreich war das MfS bei seinen Kontakten zu Joachim Berger, der von 1969 bis 1976 Studentenpfarrer der Ostberliner KSG war und in diesem Zeitraum vom MfS unter den Decknamen "Berg" und "Johannes" als IM gef�hrt wurde. �ber seine Gespr�che mit dem MfS hat Berger seinem Bischof keine Mitteilungen erstattet. Seinen jahrelangen Gespr�chskontakt rechtfertigte Berger damit, da� ihm dieser Kontakt "in einer lang andauernden, politisch extremen Situation der Katholischen Studentengemeinde Berlin (nach 1968) ... zum Schutz der KSG als Ganzer sowie besonders auch vieler ihrer gef�hrdeten Mitglieder dringend notwendig erschien."
Bei den bisher in der Berliner Gauck-Beh�rde einsehbaren Unterlagen handelt es sich �berwiegend um "Treffberichte", die von einem Offizier des MfS nach Gespr�chen mit Berger - z.T. unter Einbeziehung von Tonbandaufzeichnungen - verfa�t und in der Regel mit "Nordt, Hptm." gezeichnet worden sind. Darin finden sich Informationen �ber Veranstaltungen der KSG Berlin, �ber regionale Veranstaltungen sowie �ber Gemeindemitglieder und Studentenpfarrer. Erg�nzt wurden diese Informationen durch die �bergabe von Protokollen von Sitzungen der verschiedenen Gremien der katholischen Studentengemeinden an das MfS.
Berger versuchte auf diese Weise - in Interessenkongruenz mit dem MfS und partiell auch mit der Berliner Kirchenleitung (!) - gesellschafts- und kirchenkritische Tendenzen und Aktivit�ten insbesondere in der Berliner KSG zu verhindern und zu unterbinden. In einem Treffbericht vom Juni 1974 hei�t es, da� es Berger gelungen sei, "den Einflu� negativer Kreise von seiten der Jungakademiker auf die Studentengemeinde abzubauen."
Fazit
Die Studentengemeinden waren ein bevorzugtes Terrain der Aktivit�ten des MfS, weil es sich bei den Studierenden um eine kirchlich wie gesellschaftlich gesehen bedeutsame Gruppierung handelte. In enger Zusammenarbeit mit universit�ren Stellen, der SED und der CDU sowie �ber den Einsatz einer Vielzahl von IM und technischer Hilfsmittel versuchte deshalb das MfS, die Arbeit der Studentengemeinden "konspirativ zu bearbeiten" und zu kontrollieren, �ber IM in F�hrungspositionen in den Gemeinden zu kommen sowie �ber "Zersetzungsma�nahmen" auf einzelne Personen Einflu� zu nehmen. In einzelnen F�llen kam es zu Verhaftungen, mitunter zu "Stasiphobie" und in der Summe zu einer Verunsicherung der KSG-Mitglieder, welche einen st�rkeren R�ckzug in die Nische Studentengemeinde oder das Wegbleiben einzelner Studierender aus den Studentengemeinden zur Folge hatte.In einer Analyse der MfS-Kreisdienststelle Greifswald vom 5. Juli 1973 �ber die Situation in der evangelischen und der katholischen Studentengemeinde in Greifswald hei�t es treffend:
"Global kann eingesch�tzt werden, da� die beiden kirchlichen studentischen Jugendorganisationen entsprechend ihrer zentral geleiteten Organisationen im Rahmen der Klassenauseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus aktiv feindlich ideologisch wirksam sind. ... Von vielen Studenten wird die ESG und die KSG als 'Freiraum', 'wirkliche Freiheit' oder 'Modell der Demokratie' f�r unkontrollierbare Diskussionen betrachtet. Damit bietet sich den reaktion�ren Studenten eine Plattform zum Studium und zur Auswertung westlicher Publikationen, zur Verbreitung feindlicher Ideologien bis zur Bildung von Gruppierungen."
Die Autoren
Prof. Dr. Friedrich W. Busch, Erziehungswissenschaftler und Bildungsforscher, lehrt und forscht seit 1971 in Oldenburg. In seinen vorwiegend von der DFG gef�rderten Projekten hat er sich u.a. mit p�dagogischen Problemen und bildungspolitischen Entwicklungen in der DDR befa�t. Den DDR-Alltag lernte er seit 1966 durch regelm��ige Reisen und Begegnungen mit vorwiegend kirchlich engagierten Personen kennen. Er geriet dabei selbst ins Visier der Stasi. - Dr. Peter-Paul Straube studierte in der DDR Theologie. 1986 reiste er aus und promovierte in der Bundesrepublik nach einem Studium der Sozialwissenschaften. Nach Abschlu� zweier Forschungsprojekte, darunter dem oben beschriebenen, kehrte er Ende 1995 als P�dagogischer Leiter eines kirchlichen Bildungshauses nach Bautzen in Sachsen zur�ck.