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UNI-INFO
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eutsche Jungunternehmer nut-
zen die Chancen, die die grüne
nachhaltige Wirtschaft bietet: Der
Anteil „grüner“ Gründungen liegt
derzeit bei 13,6 Prozent. Das ist
ein Ergebnis des jetzt abgeschlos-
senen Forschungsprojekts „Green
Economy Gründungsmonitor“. Mit
dem Gründungsmonitor hat Prof. Dr.
Klaus Fichter zusammen mit dem
Borderstep Institut Berlin weltweit
erstmals systematisch Daten über
„grüne“ Startups gesammelt und aus-
gewertet. Förderer der Studie war das
Bundesumweltministerium.
„Sowohl in Deutschland als auch
international mangelt es an der Erfas-
sung von Unternehmensgründungen
im Bereich der Green Economy“, so
der Hochschullehrer für Innovation
und Nachhaltigkeit. In 30 Technolo-
gie- und Gründerzentren in Deutsch-
land sowie 15 „Inkubatoren“ in Ka-
lifornien untersuchten die Experten
mehr als 1.000 junge Unternehmen.
So liefert der Gründungsmonitor erst-
mals Informationen über den Stel-
lenwert von Erneuerbaren Energien,
Klimaschutz, Kreislaufwirtschaft
und Biodiversität für Startup-Un-
ternehmen. „Grüne Produkte und
Dienstleistungen sind in Deutschland
wie auch in Kalifornien ein bedeu-
tendes Aktionsfeld für Gründer“, so
Fichter.
Fast zwei Drittel der grünen Grün-
dungen leisten in Deutschland einen
Beitrag zur Energiewende. Drei von
vier Unternehmen bieten Produkte
und Dienstleistungen für den Klima-
schutz und sind damit Wegbereiter
einer kohlenstoffarmen Wirtschaft.
Dabei reicht das Spektrum der Ge-
schäftsfelder vom verarbeitenden
Gewerbe über die Informations- und
Kommunikationstechnologie bis
hin zu wissenschaftlichen und tech-
nischen Dienstleistungen. (mr)
Mehr grüne Gründer
Gründungsmonitor gibt Aufschluss über Startups
A
m 1. April 1993 ging die Abtei-
lung „Medizinische Physik“ der
Universität Oldenburg an den Start.
Aus heutiger Sicht muten ihre Anfän-
ge eher bescheiden an. Insgesamt 16
MitarbeiterInnen, darunter der neu be-
rufene Physiker und Mediziner Prof.
Dr. Dr. Birger Kollmeier, und ein frisch
eingerichtetes und von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) geför-
dertes Graduiertenkolleg zur Psycho-
akustik. Die Basis für die neue Abteilung
war geschaffen, die als erste die Natur-
wissenschaften mit der Medizin verband.
Die Entwicklung der vergangenen 20
Jahre würdigten imApril VertreterInnen
aus Wissenschaft, Politik, Gesellschaft
und Wirtschaft mit einem Festakt im
Haus des Hörens. „Die Medizinische
Physik mit Professor Kollmeier und
Professor Hohmann an der Spitze ist ein
Beispiel für die dynamische Entwick-
lung unserer noch jungen Universität“,
erklärte Universitätspräsidentin Prof.
Dr. Babette Simon.
Neben einer hervorragenden wissen-
schaftlichen Fachkompetenz habe
Kollmeier mit seinem Team viel Kre-
ativität und Initiative beim Aufbau
vernetzter Strukturen bewiesen. So sei
die Grundlagenforschung mit der an-
gewandten Forschung heute ebenso eng
verbunden wie die universitäre Wissen-
schaft mit den industriellen Partnern,
so Simon. Zu den Gästen des Festakts
gehörten Oldenburgs Bürgermeisterin
Germaid Eilers-Dörfler, der ehemalige
Niedersächsische Wissenschaftsminister
Lutz Stratmann, Dr. Martin Klinkel, Lei-
ter Forschung & Entwicklung Kind Hör-
geräte, sowie zahlreiche AbsolventInnen
der Medizinischen Physik.
„Der Akustiker Professor Volker
Mellert und der Psychologe Professor
August Schick haben seinerzeit den
Grundstein für den Erfolg der Medizi-
nischen Physik in Oldenburg gelegt“,
erklärte Prof. Dr. Dr. Birger Kollmeier,
Leiter der Abteilung. Seither habe sich
viel getan, die Forschungsaktivitäten
und die Personalstärke hätten eine ra-
sante Entwicklung genommen.
Inzwischen ist die Medizinische Physik
mit rund 40 WissenschaftlerInnen Teil
der neu gegründeten Fakultät für Medi-
zin und Gesundheitswissenschaften. „In
den vergangenen 20 Jahren haben allein
fast 50 Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftler in der Abteilung promo-
viert. Etwa die Hälfte von ihnen arbeitet
in der internationalen Hörgeräte-Indus-
trie – teilweise in Leitungspositionen.
Sie tragen so zu dem hervorragenden
Ruf der Oldenburger Hörforschung bei“,
freute sich Kollmeier.
Wichtige Eckpunkte der Medizi-
nischen Physik waren die Einrichtung
der Sonderforschungsbereiche „Neu-
rokognition“ (1996-2006) und „Das
Aktive Gehör“ (seit 2005) sowie die
Fraunhofer Projektgruppe für Hör-,
Sprach- und Audiotechnologie. 1996
riefen Universität und Evangelisches
Krankenhaus das Hörzentrum Olden-
burg ins Leben. Es folgte 1999 die
Einrichtung des Kompetenzzentrums
HörTech, das als Zentrum für Hörge-
räte-Systemtechnik Forschung, Ent-
wicklung und Wirtschaft miteinander
vernetzt. Seit 2002 bietet das Haus des
Hörens mit seinen akustischen Labors
WissenschaftlerInnen wie Studieren-
den ideale Forschungs- und Arbeits-
bedingungen.
Zu den jüngsten Erfolgen der Medizi-
nischen Physik gehört das Exzellenz-
cluster „Hearing4all“, das sich in der
Exzellenzinitiative des Bundes und der
Länder durchsetzen konnte, sowie der
Deutsche Zukunftspreis. Im November
vergangenen Jahres erhielten Kollmeier,
Prof. Dr. Volker Hohmann und Dr. Tor-
sten Niederdränk von der Siemens AG
die mit 250.000 Euro dotierte Aus-
zeichnung. Bundespräsident Joachim
Gauck überreichte dem Team den Preis
für die herausragenden Entwicklungen
im Bereich des beidohrigen Hörens und
der Verbesserung von Hörtechnologie-
Systemen.
„Wir sind stolz auf das, was wir erreicht
haben und freuen uns auf die aktu-
ellen Herausforderungen und künfti-
gen Entwicklungen, die sich durch das
Exzellenzcluster und unsere Stellung
als Vermittler zwischen den Naturwis-
senschaften und der Medizin in der
neuen Medizinischen Fakultät ergeben“,
betonte Kollmeier. (tk)
Naturwissenschaften
und Medizin verbinden
Abteilung „Medizinische Physik“ feiert 20-jähriges Bestehen
Eine Öffnung der Debatte um Inklu-
sion fordert Prof. Dr. Gisela Christel
Schulze. Im Interview spricht die
Rehabilitationspädagogin über die
Vor- und Nachteile inklusiven Unter-
richts – und erklärt, warum Inklusion
nicht nur für das Schulalter, sondern
für alle Lebensphasen gelten muss.
UNI-INFO: Frau Schulze, was ist
eigentlich Inklusion?
SCHULZE: Inklusion bedeutet: Eine
Gesellschaft stellt sich den vielfäl-
tigen und individuellen Bedürfnissen
ihrer Mitglieder. Jeder Mensch – so
eine zentrale Forderung – muss in
seiner Individualität von der Gesell-
schaft akzeptiert werden, er muss
die Möglichkeit haben, in vollem
Umfang an ihr teilzuhaben. Die ge-
genwärtigen Debatten zur Inklusion
beruhen auf der Behindertenrechts-
konvention der Vereinten Nationen,
die 2008 in Kraft getreten ist.
UNI-INFO: Worin besteht die Be-
deutung dieser Konvention?
SCHULZE: Mit der Behinderten-
rechtskonvention ist nicht nur die
erste verbindliche Rechtsquelle für
Menschen mit Behinderung geschaf-
fen worden. Für das internationale
Behindertenrecht bedeutet sie auch
einen Paradigmenwechsel: weg von
einem defizitorientierten, hin zu
einem menschenrechtlichen Modell
von Behinderung.
UNI-INFO: Wenn derzeit über Inklu-
sion gesprochen wird, meint man in
der Regel den Einschluss behinderter
Schüler in die Regelschule. Sind Leh-
rer denn darauf vorbereitet?
SCHULZE: Nein, weder an den Re-
gelschulen noch an den Förderschu-
len. Klar ist: Inklusion in Bildungs-
einrichtungen benötigt Zeit – und
neben der Beteiligung von Institu-
tionen auch die Unterstützung der
Eltern. Es ist ein vielschichtiger und
sehr sensibler Prozess, der nicht im
Hauruckverfahren funktioniert.
UNI-INFO: Worin bestehen die Vor-
teile der Inklusion an Schulen?
SCHULZE: Wenn die Pädagogen
gut vorbereitet sind, wenn sie Unter-
stützung erfahren durch Therapeuten
oder eine individuelle Assistenz,
wenn sich Eltern – ob von Kindern
mit oder ohne Behinderung – betei-
ligen und wenn das jeweilige Kind
in seiner individuellen Entwicklung
gesehen wird: dann kann inklusiver
Unterricht sehr bereichernd sein, und
zwar für alle Lernenden.
UNI-INFO: Wo sehen Sie Schwie-
rigkeiten?
SCHULZE: Die inklusive Schule,
wie sie gegenwärtig in Deutschland
vorgesehen ist, ist nicht für alle He-
ranwachsenden gut. Besonders, wenn
sie Probleme in der sozialen und emo-
tionalen Entwicklung haben. Dann
kann es zu einem paradoxen Effekt
kommen: Dass die schulische Inklu-
sion zu sozialer Exklusion führt.
UNI-INFO: Wie schauen Sie als Ex-
pertin auf die Debatte um die In-
klusion?
SCHULZE: In ihr geht es vor allem
um die Frühförderung und die
Grundschule. Das ist sehr einseitig.
Denn Inklusion im Bereich Bildung
muss als Konzept für alle Lebenspha-
sen gedacht werden.
UNI-INFO: Um welche Bereiche
geht es noch?
SCHULZE: Nicht nur um Bildungs-
einrichtungen – und hier bitte von der
Frühförderung bis zum Ausbildungs-
beziehungsweise Studienabschluss. In-
klusion ist wichtig in der Gesundheit,
bei der Arbeit, der beruflichen Wie-
dereingliederung, zum Beispiel nach
einer Erkrankung oder nach einem
Unfall. Eine inklusive Gesellschaft
muss Angebote über die gesamte Le-
bensspanne entwickeln und bereithal-
ten. Auch kranke und alte Menschen
haben ein Anrecht
auf gesellschaft-
liche Inklusion und
Teil habe. Doch
sind sie – Stichwort
Verknappung der
Mittel im Gesund-
heitswesen – durch
starke Exklusionsprozesse bedroht.
UNI-INFO: Ihre Einschätzung: Wie
lange wird es dauern, bis die Behin-
dertenrechtskonvention der Vereinten
Nationen umgesetzt ist?
SCHULZE: Das ist schwierig zu sa-
gen. Sicher ist: Es wird noch dauern.
Denn die Umsetzung der Konvention
ist ein schrittweiser Prozess. Alle
Menschen einer Gesellschaft sind
betroffen und müssen sich dem The-
ma stellen, wenn es gelingen soll.
Aber ich bin zuversichtlich: So ist die
Gleichstellung der Frauen auch noch
nicht vollständig realisiert. Doch in
den vergangenen Jahren haben wir
deutliche Fortschritte erzielt.
UNI-INFO: Welchen Forschungsthe-
men rund um die Inklusion widmen
Sie sich?
SCHULZE: Es sind im Grunde zwei
Themen, mit denen sich mein Arbeits-
team „Rehabilitation/Health Care“
beschäftigt: Erstens das Diversity-
und Wissenschaftsmanagement in
der Hochschule für Studierende mit
Behinderung. Hier kooperieren wir
unter anderem mit der Arbeitsgruppe
„Hörsensible Universität Oldenburg“
oder dem von der Hochschulrektoren-
konferenz initiierten Projekt „Eine
Hochschule für alle“. Wir wollen
jungen Menschen mit Behinderung
die Möglichkeit für ein universitäres
Studium aufzeigen – und Studenten
mit Behinderung unterstützen, so
dass sie nicht ihr Studium vorzeitig
aufgrund besonderer Problemlagen
abbrechen müssen. Davon profitieren
letztlich alle Studierende; auch die,
die keine Behinderung haben.
UNI-INFO: Und das zweite Thema?
SCHULZE: Die Versorgungsfor-
schung in der Rehabilitation von
Schlaganfall-Patienten und ihren An-
gehörigen. Hier verfolgen wir unter
anderem das Ziel, dass Patienten nach
einem Schlaganfall am sozialen Leben
wieder teilnehmen können. Unsere
Partner sind Rehabilitationswissen-
schaftler, Sozialwissenschaftler, Me-
diziner, Philosophen der Universi-
tät Oldenburg und das Evangelische
Krankenhaus Oldenburg mit der
„Stroke Unit“. Wir hoffen, mit den
Ergebnissen unserer Forschungspro-
jekte Impulse geben zu können: für
eine innovative intradisziplinäre Ver-
sorgungsforschung sowohl im Bereich
Gesundheit als auch in der Bildung.
Interview: Matthias Echterhagen
„Inklusion gelingt nur,
wenn sich ihr alle stellen“
Schauten zurück und nach vorn (v.l.n.r.):Volker Hohmann, Hans-Rudolf Raab,Birger Kollmeier,Babette Simon,Stephan Albani,Lutz Stratmann
und Germaid Eilers-Dörfler.
Foto: Markus Hibbeler