40. Jahrgang
Nummer 4
Mai 2013
www. p re s s e. un i - o l denbu rg. de / un i - i n f o
UNI-INFO
„Der Drang nach Freiheit war der
Ursprung des Protestantismus.“
Carl von Ossietzky (1889-1938),
Journalist, Schriftsteller und
Friedensnobelpreisträger 1935.
Zitat
250 Millionen Schüler haben an seiner Studie teilgenommen: John Hattie spricht im Hörsaal über seine Megastudie„Visible Learning“.
Foto: Markus Hibbeler
Mit den Augen der Schüler
John Hattie zählt zu den einflussreichsten Bildungsforschern der Welt. An der Universität Oldenburg
widmete sich Hattie nun der Frage: Was entscheidet darüber, wie gut Schüler lernen?
W
ie schaffe ich es, eine lebendige
Diskussion in der Klasse entste-
hen zu lassen? Eine Frage, die in deut-
schen Lehrerzimmern immer wieder-
kehrt. Für John Hattie, Bildungsforscher
aus Neuseeland, liegt die Antwort auf
der Hand: „Das einzige, was ich als
Lehrer tun kann, um eine Diskussion
in der Klasse in Gang zu bringen, ist,
den Mund zu halten.“
John Hattie zählt zu den derzeit ein-
flussreichsten Bildungsforschern der
Welt, sein Buch „Visible Learning“, 2009
erschienen, hat in der internationalen
Fachwelt für Furore gesorgt. Nun steht er
bei seinem einzigen Besuch in Deutsch-
land vor dem Rednerpult im Hörsaal der
Universität und fesselt sein Publikum.
Anlass seines Besuchs ist die deutsche
Übersetzung von „Visible Learning“ –
jetzt vorgelegt durch den Oldenburger
Erziehungswissenschaftler Prof. Dr.
Klaus Zierer und seinen Schweizer Kol-
legen Prof. Dr. Wolfgang Beywl. Bis auf
den letzten Platz ist der Hörsaal besetzt.
Auch unten, im Foyer, ist der Andrang
groß: Für die rund 400 Besucher, die
nicht mehr hinein können, übertragt
die Medientechnik Hatties Vortrag live.
John Hattie redet frei, setzt gezielt Pau-
sen und Pointen. Sein Vortrag ist die
Demonstration eines Menschen, der
von seinem Thema durchdrungen ist.
Das Wort, das er oft nennt, ist „Leiden-
schaft“. Genau die ist es ihm zufolge,
die einen Lehrer erst gut macht. Der als
„Change Agent“ Dialoge entfacht und
seine Wirkung verstehen lernt.
Hattie weiß, wovon er spricht: Am An-
fang seiner Karriere war er Englisch-
und Musiklehrer. Es folgten Tätigkeiten
als Lecturer und wissenschaftlicher
Assistent, bevor er Professor für Erzie-
hungswissenschaften an der University
of Auckland (Neuseeland) wurde. Seit
2011 ist Hattie Professor für Erzie-
hungswissenschaften an der University
of Melbourne (Australien).
„Lernen sichtbar machen“, so der Titel
des übersetzten Buchs, ist 440 Seiten
stark, allein der Literaturteil umfasst
knapp 90 Seiten. Das Buch ist Ergeb-
nis harter Forschung, 15 Jahre lang
war Hattie mir ihr beschäftigt. 800
Meta-Analysen sind in das Werk ein-
geflossen; Daten von 250 Millionen
Schülern hat Hattie für diese Analysen
verwertet.
Aus seinem Material arbeitete der Bil-
dungsforscher 138 Faktoren für gutes
Lernen heraus. Diese bringt er in eine
Rangliste – je nachdem, wie groß der
jeweilige Lernerfolg der Schüler ist.
Ganz vorn in Hatties Rangliste: Der
Faktor „Vertrauen der Schüler in die
eigene Leistung“. An achter Stelle
„Klarheit der Lehrperson“, an zehnter
Stelle „Feedback an den Lehrer“. Die
in Deutschland derzeit viel diskutier-
te „Klassengröße“ hat für Hattie eher
wenig Einfluss auf den Lernerfolg der
Schüler: Sie rangiert auf Platz 106, das
Nichtversetzen liegt auf dem drittletzten
Platz.
Dass sich nicht vorschnell Schlüsse
aus diesem Ranking ziehen lassen, da-
rauf hat Klaus Zierer bereits vor Er-
scheinen der deutschen Übersetzung
hingewiesen. Das Ranking erfordere
eine „differenzierte Betrachtung der
Ergebnisse“, schrieb er in der Frank-
furter Allgemeinen Zeitung vom 15.
März. „Seine vorwiegend angloame-
rikanischen Ergebnisse lassen sich nur
mit Vorsicht auf das deutsche Bildungs-
system übertragen“, so Zierer, der vor
einer vereinfachenden Hattie-Rezeption
warnt: Parolen wie „Der Lehrer ist das
Wichtigste“ überforderten die Lehrer.
„Und sie sind falsch, weil nicht der Leh-
rer der wichtigste Faktor ist, sondern der
Schüler selbst.“
Darauf weist auch Hattie hin – mit dem,
was er sein „Mantra“ nennt: Lehrer,
sagt er im Hörsaal der Universität Ol-
denburg, müssten das Lernen durch die
Augen der Schüler sehen können. Sie
müssten Schüler dahin bringen, sich
als ihre eigenen Lehrer zu sehen. Und
manchmal geht das am besten, wenn
der Lehrer etwas Seltenes tut: nichts
sagen. (me)
John Hattie: „Lernen sichtbar machen“,
überarbeitete deutsche Ausgabe vonWolf-
gang Beywl und Klaus Zierer, Schneider
Verlag, 439 Seiten, 28 Euro.
Clip-Wettbewerb:
„deine uni wird 40“
I
m kommenden Jahr feiert die Univer-
sität Oldenburg ihren 40. Geburtstag.
Grund genug, den zweiten „Campus
Clip Contest“ unter das Motto „deine
uni wird 40“ zu stellen. Wieder sind
kreative Studierende gefragt, ihre Uni
in einem 120-sekündigen Filmclip
vorzustellen. Der Startschuss für den
Kurzfilmwettbewerb fällt am 6. Mai,
Einsendeschluss ist der 31. Juli.
Ob mit dem Handy, der Digicam oder
Kamera gefilmt, einzige Vorgabe ist es,
dass der Geburtstag der Uni im Mittel-
punkt steht. Für die drei besten Clips
winkt ein Preisgeld von insgesamt 1.750
Euro. Über die Gewinner entscheidet
eine Jury unter dem Vorsitz der Vize-
präsidentin für Studium & Lehre, Prof.
Dr. Gunilla Budde. Die Videos können
als MPEG-2, DivX oder VOB bei der
Stabsstelle Presse & Kommunikation
eingereicht werden – zusammen mit
den beiden Bögen zur Anmeldung und
zu den Nutzungsrechten. Wichtig: Es
darf ausschließlich GEMA-freie oder
selbstproduzierte Musik zur Vertonung
der Clips verwendet werden. Der Sie-
gerclip soll bei der offiziellen Auftakt-
veranstaltung der Feierlichkeiten am
5. Dezember im Oldenburger Schloss
gezeigt werden.
Einen Bericht über die geplanten Ver-
anstaltungen und Formate zum 40. Ge-
burtstag der Universität lesen Sie in der
nächsten Ausgabe des UNI-INFO.
und
/
CampusClipContest/
S
ie wiegen kaum ein Gramm und
treten Jahr für Jahr eine mehr als
3.500 Kilometer lange Reise an. Die
Rede ist von „Danaus plexippus“, dem
„Monarchfalter“ – jenem Schmetter-
ling, der zu den berühmtesten Wander-
faltern zählt. In festen jahreszeitlichen
Rhythmen zieht es ihn Tausende von
Kilometer durch Nordamerika in sein
zentralmexikanisches Winterquartier.
Gewaltige Schwärme fallen dann in das
nur wenige Hektar große Gebiet ein – in-
nerhalb des Bergwalds von Michoacán.
Doch wie genau meistern die Falter ihren
beeindruckenden Kontinentalflug?
Prof. Dr. Henrik Mouritsen, Biolo-
ge und Experte für die Navigation
von Vögeln an der Universität, hat
sich dieser Frage zusammen mit sei-
nem deutsch-dänisch-kanadischen
Team angenommen. Nun sind die For-
schungsergebnisse in der renommierten
Fachzeitschrift PNAS (Proceedings of
the National Academy of Sciences of the
United States of America) erschienen.
„Echte Navigatoren“ seien bei der Wan-
derung der Monarchfalter nicht am
Werk, erklärt Mouritsen. Sie verfügten
weder über einen Magnetsinn noch
über so etwas wie eine „in-
nere
Landkarte“. Um heraus-
zufinden, wie die Falter
zielsicher ihr Winterquar-
tier ansteuern, reisten die
WissenschaftlerInnen in
den Osten Nordamerikas,
n a ch On -
ta r io (Kanada).
Dort ist eine Population
von Monarchfaltern behei-
matet, die zur Überwinterung nach
Zentralmexiko in den Bergwald von
Michoacán fliegt.
Zunächst setzten die Forscher Falter
in Flugsimulatoren – an der Stelle, wo
sie zu ihrem Langstreckenflug aufbre-
chen.
Ein Luftzug ließ die
Falter
auf der Stelle fliegen,
ohne
dabei eine Richtung
vorzugeben. „Die Falter schlugen
durchweg einen südwestlichen Kurs
ein. Dabei orientierten sie sich am Stand
der Sonne“, erklärt Mouritsen. Sobald
die Flugsimulatoren abgedeckt wurden,
fehlte den Tieren die Möglichkeit zur
Orientierung. Doch was passiert, wenn
man die Falter an einen anderen Ort
bringt? Passen sie ihre Orientierung
den neuen Gegebenheiten an, schlagen
sie den richtigen Weg zu ihrem Win-
terquartier ein? Um das zu überprüfen,
transportierten dieWissenschaftlerInnen
Wie orientieren sich Schmetterlinge punktgenau?
3.500 Kilometer bis zumWinterquartier: Internationales Forscherteam untersucht Wanderzüge nordamerikanischer Monarchfalter
die Flugsimulatoren und Monarchfalter
etwa 2.500 Kilometer nachWesten in die
Nähe von Calgary in der kanadischen
Provinz Alberta. Auch hier schlugen die
Schmetterlinge den Kurs Richtung Süd-
westen ein. Damit ist klar: „Die geogra-
phische Versetzung konnten
sie nicht kompensieren“, so
Mouritsen. Die Ergebnisse
zeigen, dass die Falter ihre
eigene Position nicht in Rela-
tion zum Zielort bestimmen
können.
Zusätzlich untersuch-
ten die Wiss en-
schaftlerInnen die
Verteilung von rund
400 Monarchfaltern,
die zwischen 1952 und
2004 markiert und wiedergefangen wur-
den. „Alle Experimente und Datenana-
lysen belegen, dass die Schmetterlinge
einen Sonnenkompass benutzen, aber
keine ‚echten Navigatoren’ sind. Sie ha-
ben keine Karte, umOrientierungsfehler
zu korrigieren“, betont Mouritsen. Aber
wie kommen sie trotzdem zielgenau in
Mexiko an? Geographische Barrieren
wie Gebirge oder Wasser helfen den
Schmetterlingen, ihren Weg zu finden.
„Die Rocky Mountains im Westen, der
Atlantik im Osten und Südosten und
der Golf von Mexiko im Süden wirken
wie eine Art Trichter, der die Monarch-
falter in ihre Überwinterungsgebiete
schleust“, sagt Mouritsen.
Ein Rätsel bleibt dennoch bislang unge-
löst: Die Peilung allein mit dem Sonnen-
kompass und die „Trichterfunktion“ rei-
chen aus Sicht der WissenschaftlerInnen
nicht aus, um die richtigen Bäume im
Bergwald von Michoacán zu finden.
„Vielleicht spielen dabei olfaktorische
Informationen eine wichtige Rolle“, so
Mouritsens Vermutung.
Henrik Mouritsen, Rachael Derbyshire, Julia
Stalleicken, Ole Mouritsen, Barrie J. Frost,
and D. Ryan Norris: „Monarch butterflies
are not true navigators: evidence from an
experimental displacement and over 50 ye-
ars of tag-recoveries“, in: PNAS, April 2013.
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