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UNI-INFO
41. Jrg. 3/14
G
rasland-Ökosysteme – Wiesen
und Weiden, Prärien und Savan-
nen – sind Forschungsgegenstand von
NutNet, einem weltweiten Netzwerk
von Biologen. Einer von ihnen ist der
Oldenburger Wissenschaftler und Di-
rektor des Instituts
für Chemie und Bi-
ologie des Meeres
(ICBM), Prof. Dr.
Helmut Hillebrand
(Foto). Jetzt sind
im Wissenschafts-
magazin „Nature“
in kurzer Folge die
Ergebnisse zweier Studien erschie-
nen, die unterschiedliche Aspekte der
Biodiversität in Graslandsystemen auf
sechs Kontinenten zum Thema haben.
Die Nährstoffanreicherung von natür-
lichem Grasland – ob absichtlich durch
Düngung oder durch unerwünschte Ein-
träge von Industrie oder Landwirtschaft
– hat eine destabilisierende Wirkung
auf Grasland-Ökosysteme. Das belegt
die erste Studie, die sich unter dem
Titel „Eutrophication Weakens Stabi-
lizing Effects of Diversity in Natural
Grasslands“ (Nährstoffeinträge beein-
trächtigen stabilisierende Effekte der
Diversität in natürlichem Grasland) in
„Nature“ findet. Unter Federführung
der University of Minnesota (USA) ha-
ben 31 WissenschaftlerInnen aus der
ganzen Welt erstmals über Jahre hinweg
eine derart breit angelegte Untersuchung
durchgeführt. „Dieses Kollektiv ist welt-
weit einzigartig, denn die Stärke liegt in
der globalen Betrachtung, die wir mit
Hilfe gleicher experimenteller Ansätze
und Analysen erreichen“, so Hillebrand.
Die WissenschaftlerInnen konnten zei-
gen, dass Pflanzenvielfalt mittelfristig da-
für sorgt, dass sich natürliche Ökosysteme
stabilisieren. Der Grund: Das Wachstum
der Pflanzen verläuft nicht synchron.
„Dies wird auch als Portfolio-Effekt be-
zeichnet“, erläutert Projektleiter Dr. Eric
Seabloomvon der University of Minneso-
ta. Vergleichbar sei dies mit einem breit
gestreuten Geldanlage-Portfolio, das die
Stabilität der Renditen begünstige.
Die ForscherInnen untersuchten Pflan-
zen an Standorten, die von Argentinien
bis China, von Minnesota bis Australien
reichen. Sie bestimmten die Anzahl der
Arten und die Menge der Biomasse, die
in einem bestimmten Zeitraum gewach-
sen ist. Diese Informationen nutzten
sie, um die Artenvielfalt und Ökosy-
stemstabilität zu quantifizieren. Yann
Hautier, der federführend die Analysen
zur Stabilität durchführte, stellt fest:
„Es ist wirklich erstaunlich, wie direkt
der Zusammenhang zwischen Diversi-
tät – also Artenvielfalt – und Stabilität
ist.“ Die Ergebnisse zeigten: Nicht nur
die Produktivität der Ökosysteme, son-
dern auch die Stabilität hänge von der
biologischen Vielfalt ab.
„Diese Vielfalt und Stabilität der Öko-
systeme wird durch Einsatz von Dünger
eingeschränkt“, erklärt Hillebrand. Dün-
gemittel werden imGrünland verwendet,
um den Ertrag an Viehfutter zu erhöhen.
Aber Dünger kommt oft ungewollt vor,
weil durch Industrie, Landwirtschaft und
die Verbrennung fossiler Brennstoffe
Stickstoff freigesetzt wird. Durch Nie-
derschläge gelangt er auf das Grasland
und beeinflusst Wachstum und Arten-
vielfalt. „In der Konsequenz geht die sta-
bilisierende Wirkung der Artenvielfalt
verloren und macht den Portfolio-Effekt
zunichte“, so Hillebrand. Je mehr wachs-
tumsfördernde Nährstoffe ins Grasland
gelangten, desto stärker nehme der sta-
bilisierende Effekt der Biodiversität ab.
Hier setzt die zweite Studie des inter-
nationalen Forscherkonsortiums unter
Federführung von Prof. Dr. Elizabeth Bo-
rer und Prof. Dr. Eric Seabloom von der
University of Minnesota (USA) an. Sie ist
unter demTitel „Herbivores and Nutrients
Control Grassland Plant Diversity via
Light Limitation“ (Pflanzenfresser und
Nährstoffe kontrollieren die Pflanzendi-
versität des Graslands per Lichtbegren-
zung) in „Nature“ erschienen.
Grasland wird nicht nur gedüngt, es
wird auch beweidet. Düngung und Wei-
defraß – beide Faktoren haben Ein-
fluss auf die pflanzliche Artenvielfalt.
Fällt dieser jedoch zwangsläufig nega-
tiv aus? Welche Auswirkungen haben
Düngung und Beweidung weltweit auf
die Biodiversität? Verstärkt ein Faktor
die Wirkung des anderen oder kann er
sie sogar kompensieren?
„Biodiversität nützt dem Menschen
und der Umwelt. Zu verstehen, wie das
menschliche Handeln die Artenvielfalt
beeinflusst, ist von zentraler Bedeu-
tung für die Aufrechterhaltung einer
gesunden Umwelt“, betont Borer. Und
Hillebrand präzisiert: „Das Verständ-
nis des Zusammenspiels zwischen den
Nährstoffen, den Pflanzenfressern und
dem Pflanzenwachstum ist entscheidend
für die Fähigkeit, eine wachsende Welt-
bevölkerung zu ernähren und bedrohte
Arten und Ökosysteme zu schützen.“
Die vermehrte Zufuhr von Nährstoffen
wie Stickstoff oder Phosphor verstärkt
das Wachstum der Pflanzen. Was bei
Kulturen von Nutzpflanzen erwünscht
ist, behindert jedoch viele Pflanzenarten
in natürlichen Ökosystemen. Sie werden
von anderen überwuchert und bekom-
men nicht mehr genügend Licht, um zu
überleben und sich fortzupflanzen. Die
Folge: Die Artenvielfalt nimmt ab. Ge-
nau das Gegenteil kann eine Beweidung
bewirken, wenn Pflanzenfresser dafür
sorgen, dass die Menge der Biomasse
reduziert wird und in der Folge wieder
mehr Licht auch bis auf den Boden
fallen kann. „Es ist dieser gleichzeitige
Bottom-up- und Top-down-Effekt, der
einen Verlust pflanzlicher Artenvielfalt
verhindern könnte“, erklärt Hillebrand.
Die Frage nach Bottom-up- und Top-
down-Kontrollen von Pflanzen ist alt,
sie geht zurück auf Darwin. Um sie
auf einer soliden empirischen Grund-
lage beantworten zu können, haben
WissenschaftlerInnen des NutNets an
41 Standorten auf sechs Kontinenten
Versuchsflächen untersucht. Das ex-
perimentelle Design dabei war ab-
sichtlich einfach: Die ForscherInnen
untersuchten Flächen mit und ohne
Düngezusatz sowie Flächen mit und
ohne Umzäunungen, um lokale Pflan-
zenfresser – Rehe, Kängurus, Schafe,
Zebras, Kaninchen oder Elefanten –
abzuhalten. Jahr für Jahr haben die Bio-
logInnen die Menge des gewachsenen
Pflanzenmaterials, das Licht, das den
Boden erreicht, und die Anzahl der
Pflanzenarten auf den Flächen an allen
Standorten gemessen.
„Globale Muster der Biodiversität sind
weitgehend durch lokale Einflüsse be-
stimmt, die miteinander in Wechselwir-
Wie Pflanzenvielfalt die Ökosysteme stabilisiert
In zwei Nature-Publikationen berichtet ein weltweites Wissenschaftler-Netzwerk über globale Muster der Biodiversität
kung stehen“, erklärt Henry L. Gholz,
Leiter der Abteilung für Umweltbiolo-
gie der National Science Foundation,
die die Forschung finanziert. „Die Er-
gebnisse zeigen, dass die Biodiversität
des Grünlands zum größten Teil durch
die gegenläufigen Einflüsse der Dün-
gung und Beweidung auf die Lichtauf-
nahme der Pflanzen bestimmt ist.“ Für
das Landmanagement und den Natur-
schutz bedeutet dies, dass – wenn eine
Verringerung des Stickstoffeintrags
nicht möglich ist – andere Manage-
ment-Praktiken dazu beitragen könnten,
die Artenvielfalt zu bewahren. Diese
müssten die Akkumulation von Biomas-
se einschränken und der Lichtreduktion
entgegensteuern.
Die Studien wurden durch mehr
als 100 ehrenamtlich arbeitende
WissenschaftlerInnen des Nutrient-
Netzwerks möglich, die drei Jahre lang
Daten erhoben haben. „Aufgrund dieser
idealen Ausgangssituation können wir
davon ausgehen, dass unsere Untersu-
chungsergebnisse eine allgemeingül-
tige Tendenz repräsentieren“, erklärt
Hillebrand. Das Nutrient-Netzwerk
will für mindestens weitere zehn Jahre
Informationen über langfristige Trends
zur Pflanzenartendiversität und Öko-
systemstabilität, zu Artensterben, Ar-
teninvasionen und anderen wichtigen
Änderungen im Grasland sammeln.
(mr)
„Eutrophication weakens stabilizing ef-
fects of diversity in natural grasslands“, by
Yann Hautier, Eric W. Seabloom, Elizabeth
T. Borer, Peter Adler, W. Stanley Harpole,
Helmut Hillebrand et al. DOI: 10.1038/na-
ture13014, Advance Online Publication
(AOP) on
„Herbivores and nutrients control grass-
land plant diversity via light limitation“,
by Elizabeth T. Borer, Eric W. Seabloom,
Daniel S. Gruner, W. Stanley Harpole, Hel-
mut Hillebrand et al., Nature DOI 10.1038/
nature13144, Advanced Online Publication
(AOP),
P
rof. Dr. Niko Paech (Foto), Öko-
nom und Nachhaltigkeitsforscher
an der Universität Oldenburg, hat
den mit 10.000 Euro dotierten ZEIT
WISSEN-Preis „Mut zur Nachhal-
tigkeit“ in der Kategorie „Wissen“
erhalten. Er emp-
fing den Preis Ende
Februar aus den
Händen von Klaus
Wiegandt, Leiter
der Stiftung Forum
für Verantwortung,
und Andreas Sent-.
ker, Herausgeber des Magazins ZEIT
WISSEN, im Rahmen des Nachhal-
tigkeitskongresses in Hamburg.
Der ZEIT WISSEN-Preis „Mut zur
Nachhaltigkeit“ zeichnet in den Ka-
tegorien „Wissen“ und „Handeln“ Pi-
oniere aus, die einen herausragenden
Beitrag im Bereich nachhaltiger Ent-
wicklung leisten. ZEIT WISSEN und
die Initiative „Mut zur Nachhaltig-
keit“ honorieren Paech als Vordenker
der Postwachstumsökonomie, einer
Ökonomie jenseits der Imperative
wirtschaftlichen Wachstums. Für die
namhafte Jury spielte eine zentrale
Rolle, dass Paech nicht nur Theoreti-
ker ist, sondern Wege sucht, um seine
Vorstellungen in die Praxis umzuset-
zen. Mit dem Bestreben, Ökonomie
nachhaltig zu gestalten, engagiert sich
der Ökonom in diversen Institutionen
wie der Oldenburger Energiegenos-
senschaft (OLEGNO), KOBE (Kom-
petenzzentrum Bauen und Energie)
oder der Genossenschaft Polygenos.
Mit dem Preisgeld wird Paech Nach-
haltigkeitsprojekte in der Region un-
terstützen.
„Niko Paech ist weltweit eine der
Lichtgestalten in der Postwachs-
tumsdiskussion“, begründete Klaus
Wiegandt, der den Vorsitz der Jury
innehatte, die Entscheidung für den
Oldenburger Wissenschaftler.
„Ich freue mich sehr über diese Aus-
zeichnung“, erklärte Paech. „Sie ist
für mich eine tolle Anerkennung
meiner Arbeit zur Postwachstums-
ökonomie. Den Preis verstehe ich
aber auch generell als ein Signal der
Jury, wachstumskritische Positionen
in der Nachhaltigkeitsforschung zu
stärken.“ Niko Paech ist seit 2010
außerplanmäßiger Professor für „Pro-
duktion und Umwelt“ an der Univer-
sität Oldenburg und Vorsitzender der
Vereinigung für Ökologische Ökono-
mie (VÖÖ).
„Lichtgestalt in der
Postwachstumsdiskussion“
Niko Paech erhält ZEITWISSEN-Nachhaltigkeitspreis
Tundra in Grönland: 100 Wissenschaftler erhoben an 41 Standorten auf sechs Kontinenten die Daten für die Studien.
Foto: Hannes Grobe, Creative Commons CC-BY-SA-2.5