Presse & Kommunikation
EINBLICKE NR.27 | APRIL 1998 |
FORSCHUNGSMAGAZIN DER CARL VON OSSIETZKY UNIVERSITÄT OLDENBURG
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Inhalt
- Energie-Meteorologie
- EXPO 2000 - Das Oldenburger Entmüdungskonzept
- Die Werksausgabe Louise Farrenc
- Die Vorurteile gegenüber Deutschen sind eine Aufgabe der Niederländer selbst
- Die soziale Lage behinderter Frauen
- Die Polizey und die Mütter
- Nachrichten der Universitätsgesellschaft
- Notizen aus der Universität
- Summaries
Energie-Meteorologie
von Detlev Heinemann, Jürgen Parisi und Hans-Peter Waldl
Erneuerbare Energien werden eine wichtige Säule der zukünftigen Energieversorgung darstellen. Die Verfügbarkeit dieser Energiequellen hängt jedoch deutlich vom Klima und Wetter ab. Für eine effiziente Nutzung ist es somit notwendig, Methoden und Informationen bereitzustellen, um den Einfluß der meteorologischen Größen auf die Energieerzeugung zu beschreiben. Diesen Aufgaben stellt sich die Energiemeteorologie.
Die norddeutschen Energieversorgungsunternehmen erleben gegenwärtig unmittelbar die zunehmende Bedeutung von erneuerbaren Energien in der Stromversorgung: Die Leistungsspitze aus Windenergie in ihren Versorgungsgebieten überstieg im Jahr 1997 erstmals den Minimalwert des Stromverbrauchs. Im Vergleich dazu ist die Nutzung der Sonnenenergie zur Elektrizitätserzeugung mit Solarzellen (Photovoltaik) noch in den Anfängen. Jedoch ist ihr Potential langfristig deutlich höher einzuschätzen, so daß auch hier eine mit der heutigen Windenergiesituation vergleichbare Entwicklung einsetzen wird.
Die mit den fluktuierenden Energiequellen Wind und Solarstrahlung verbundenen Probleme der Steuerung des konventionellen Kraftwerksparks und der Netzregelung machen deutlich, daß die Einführung neuer Technologien erhebliche Anstrengungen in verschiedenen Teilbereichen erfordert. Neben grundlagenorientierter Forschung zur technischen Entwicklung sind dies die Erarbeitung von Markteinführungsstrategien und – im Falle der erneuerbaren Energien besonders wichtig – die Integration in bestehende technische und ökonomische Strukturen.
Eine wesentliche Rolle kommt in diesem Fall der Verfügbarkeit von Information zu, die es erlaubt, eine genaue Abschätzung der den erneuerbaren Energiesystemen zur Verfügung stehenden Ressourcen aus Wind und Solarstrahlung (diese bestimmen die Energieerträge) und der das Systemverhalten prägenden Zusammenhänge wie z.B. die räumliche Variabilität dieser Größen (diese bestimmen die Effizienz) vorzunehmen. Gleichzeitig ist offensichtlich, daß eine künftige Energieversorgung mit nennenswerten Anteilen von erneuerbaren Energien in hohem Maße von den fluktuierenden meteorologischen Größen Windgeschwindigkeit und Solarstrahlung abhängig sein wird. Eine jüngste Shell-Studie erwartet einen weltweiten Anteil dieser Energiequellen von über 50 % in der Mitte des nächsten Jahrhunderts. Damit liegt der Wunsch nahe, die zeitlichen und räumlichen Eigenschaften von Wind und Solarstrahlung und das Verhalten der darauf basierenden Energiesysteme zu beschreiben und mit diesem Wissen eine effizientere Ausnutzung dieser Energiequellen zu erreichen. Hierzu werden im folgenden einige Beispiele aus dem Oldenburger Forschungsgebiet Energiemeteorologie vorgestellt.
Windenergienutzung
Eine wesentliche Voraussetzung für eine wirtschaftliche Nutzung der Windenergie ist die detaillierte Kenntnis der zu erwartenden Energieerträge. Diese hängen von den lokalen und regionalen klimatologischen Verhältnissen ab, die in umfangreichen Regionalstudien des Windenergiepotentials sowie in Analysen von Einzelstandorten von Windenergieanlagen beschrieben werden.Ist das betrachtete Gelände einfach im strömungsphysikalischen Sinn, wie dies z.B. in den meisten Gegenden Norddeutschlands der Fall ist, können etablierte Standardverfahren (z.B. das Europäische Windatlasverfahren) zur Potentialbestimmung eingesetzt werden. Zunehmend wird jedoch die Windenergienutzung im Binnenland, vor allem in den Mittelgebirgen, bedeutend. Hier ist der Einfluß der zum Teil sehr stark gegliederten Geländeformen auf die Windströmung zu berücksichtigen. Auch europaweit sind die Regionen mit hohem Windenergiepotential oft gebirgig. Für potentielle Standorte dieser Art müssen Werkzeuge entwickelt werden, die eine Modellierung der Strömungsverhältnisse auch in komplexem Gelände erlauben. Dies sind in der Regel mesoskalige meteorologische Modelle, vergleichbar mit den Vorhersagemodellen der Wetterdienste, die an die speziellen Anforderungen der kleinskaligen Beschreibung der Windströmung angepaßt sind. Rechnungen dieser Art weisen räumliche Auflösungen von typisch 100 m auf. Im Gegensatz zu den oben genannten einfacheren Verfahren für ebenes oder nur leicht hügeliges Gelände, deren Anwendung mittlerweile als Dienstleistung von Ingenieurbüros angeboten wird, erfordert der Einsatz dieser mesoskaligen Modelle sowohl in Hinblick auf deren Weiterentwicklung als auch auf die Anwendung zur Potentialbestimmung ein Forschungsumfeld, wie es nur in Universitäten oder größeren Instituten zu finden ist.
Durch den praktischen Einsatz dieser Modelle wird die Standortauswahl für Windenergieanlagen auf eine objektive Grundlage gestellt. Damit wird die Wahl ungeeigneter Standorte vermieden, das Risiko für Betreiber von Windenergieanlagen sinkt und die durchschnittlichen Erträge aus der Windenergienutzung steigen.
Ist der Standort z.B. für einen geplanten Windpark gefunden, stellt sich als nächste Aufgabe die Auswahl der Anordnung der Anlagen auf dem vorgegebenen Areal. Dabei müssen Abschattungseffekte berücksichtigt werden, die durch die Beeinflussung der Strömung in einem Windpark durch die Einzelanlagen hervorgerufen werden. In dem Oldenburger Computermodell FLaP (Farm Layout Program) werden hierzu die Strömungsverhältnisse im Park simuliert und daraufhin die Aufstellungsgeometrie der Windenergieanlagen mit modernen Optimierungsalgorithmen (Evolutionsstrategien und Genetische Algorithmen) bestimmt.
Satellitenbilder und Solarenergie
Die Solarstrahlung war lange Zeit eine allenfalls klimatologisch interessante Größe. Die Dichte des Meßnetzes ist entsprechend gering und die zeitliche Auflösung der Daten unzureichend. Dieser Zustand hat sich in jüngerer Zeit durch das hohe Interesse sowohl der Klimaforschung (die Solarstrahlung ist die wesentliche die Energiebilanz der Erde antreibende Größe) als auch der Solarenergie an genauen Informationen über die zeitliche und räumliche Struktur der Einstrahlung gewandelt.Zeitgleich mit dem wachsenden Interesse an diesen Daten haben sich meteorologische Satelliten als "Allround"-Meßinstrumente etabliert und gerade für die Bestimmung der Strahlungsbilanz in der Atmosphäre wertvolle Erkenntnisse geliefert. Die Methode, aus den Satellitenbildern für die Solarenergie nutzbare Einstrahlungsinformation zu gewinnen, folgt einer einfachen Idee: Instrumente an Bord des Satelliten registrieren die von der Erdoberfläche und der Atmosphäre zurückgestreute Solarstahlung. Dieser Wert ist umgekehrt proportional zur Transmission der Strahlung durch die Atmosphäre, die wiederum die Höhe der Einstrahlung am Erdboden bestimmt. Da prinzipiell die Wechselwirkung von Strahlung mit den Bestandteilen der Atmosphäre (Luftmoleküle, Aerosole, Wolken) durch Methoden der Strahlungstransferrechnung hinreichend genau beschrieben werden kann, würde eine genaue Kenntnis der Zusammensetzung der Atmosphäre in allen Höhen es also erlauben, die Solarstrahlung am Erdboden exakt zu beschreiben. Diese Informationen sind jedoch nur teilweise verfügbar, so daß Annahmen und Vereinfachungen der "Modellphysik" – insbesondere für die Bewölkung – gemacht werden müssen. Mit diesen Verfahren gelingt es nun, Abschätzungen des Solarenergieangebotes am Erdboden mit einer Auflösung von typisch 5x5 km² (Meteosat) zu machen, deren Genauigkeit z.B. für Monatsmittelwerte mit konventionellen Bodenmessungen vergleichbar ist.
Die Nutzung von Satellitendaten bietet nun zahlreiche neuere Untersuchungsmöglichkeiten: Abschätzungen des regionalen Solarenergiepotentials werden möglich z.B. für die sonnenreichen Länder Afrikas, in denen verläßliche Bodendaten oft gar nicht existieren. Sie erlauben darüber hinaus die Untersuchung der räumlichen Variabilität der Solarstrahlung. Kenntnisse über die Variabilität der Einstrahlung sind wesentlich für eine statistische Betrachtung des Effektes einer gleichzeitigen Erzeugung in räumlich verteilten Systemen, wie zum Beispiel Photovoltaik-Kraftwerken, die in ein gemeinsames Versorgungsnetz einspeisen. Hierdurch lassen sich wertvolle Planungsdaten gewinnen.
Gemeinsam mit bodengestützten Messungen in kleineren räumlichen und zeitlichen Skalen läßt sich auf diese Weise ein umfassendes Bild der statistischen Eigenschaften der Solarstrahlung gewinnen. Diese Informationen lassen sich beispielsweise in Simulationsmodellen und Steuerungsverfahren einsetzen, um zu einer verbesserten Planung und Betriebsführung von Solarenergiesystemen zu gelangen.
Vorhersagen von Wind und Strahlung
Das allgemeine Interesse an Vorhersagen von Größen, die eine er-hebliche ökonomische Bedeutung haben, war schon immer sehr ausgeprägt. Dies gilt gleichermaßen für den Ausgang von Pferderennen, für Aktienkurse und für das kommende Wetter. So ist nicht verwunderlich, daß Vorhersagen der zu erwartenden Energieflüsse aus der Solarstrahlung oder aus dem Wind ebenfalls besonders wertvoll für eine möglichst effiziente Nutzung von erneuerbaren Energien sind. Das eingangs genannte Beispiel aus der Windenergie zeigt, daß bereits heute Vorhersagen der Leistung aus Windenergieanlagen eine notwendige Voraussetzung für eine optimale Integration der Windenergie in die Versorgungsnetze sind. Auf diese Weise kann der "Kapazitätskredit", d.h. die durch Windenergie ersetzbare installierte Leistung aus konventionellen Kraftwerken, erheblich erhöht werden.Vorhersagen der Leistung aus den installierten Windenergiekonvertern basieren auf den von den Wetterdiensten eingesetzten numerischen Wettervorhersagemodellen, deren Ergebnisse um lokale Einflüsse auf die Strömungsverhältnisse korrigiert und mit den Charakteristika der Windenergiekonverter ergänzt werden. Berücksichtigt wird ebenfalls wiederum der Einfluß der Aufstellungsgeometrie von Windenergieanlagen in Windparks auf die Strömungsverhältnisse. Im Rahmen eines von der Europäischen Union geförderten Forschungsprojekts wird gegenwärtig in Oldenburg ein derartiges Vorhersageverfahren für den norddeutschen Raum im Zeitbereich von ein bis zwei Tagen entwickelt und erprobt. Die zu erwartende Leistung aus installierten Photovoltaikanlagen wird aus Satellitendaten über ein gekoppeltes Verfahren der Solarstrahlungsbestimmung und der Vorhersage von Bewölkungsstrukturen bestimmt. Wesentliche Komponenten dieser Methode sind Klassifizierungsalgorithmen zur Beschreibung dieser in den Satellitenbildern enthaltenen Strukturen sowie ein auf einem neuronalen Netz basierendes Verfahren zur Beschreibung deren zeitlicher Entwicklung.
Die Vorhersageverfahren erlauben einerseits Aussagen über die flächendeckende Verfügbarkeit der Erzeugungskapazität aus Wind- und Solarenergie in einem bestimmten Versorgungsgebiet und andererseits eine Angabe der zu erwartenden Unsicherheit der Vorhersage. Mit Vorhersagen im Zeitbereich von wenigen Stunden können Energieversorgungsunternehmen deutliche Verbesserungen in der Netz- und der Laststeuerung erzielen, während ihre Kraftwerkseinsatzplanung von Vorhersagen bis zu zwei Tagen profitiert. Eine Integration von Vorhersageinformation in das Energiemanagement netzferner Systeme mit Batteriespeichern kann mit Vorhersagen über zwei bis drei Tage eine merkliche Erhöhung der Versorgungssicherheit bewirken.
Ausblick
Intelligente Verfahren, um erneuerbare Energiesysteme zu planen und optimal zu betreiben, werden künftig eine ebenso hohe Bedeutung für das Erreichen der Wirtschaftlichkeit dieser neuen Technologien haben wie kostengünstigere Herstellungsverfahren und höhere Wirkungsgrade. Dabei wird die Verfügbarkeit von meteorologischem Wissen (z.B. in Form von Computermodellen) und Information (in Form von Daten, Vorhersagen etc.) eine wesentliche Voraussetzung sein.Verfahren zur Gewinnung, Aufbereitung und Verbreitung dieser Information sind heute erst teilweise entwickelt und müssen künftig verstärkt zur Verfügung gestellt werden. Gleichzeitig sind Optimierungstechniken zu implementieren, in denen diese Information möglichst vollständig genutzt werden, um die Systeme mit maximaler Effizienz zu betreiben.
Diesen Möglichkeiten kommt die Entwicklung moderner Kommunikationstechnologien entgegen. Das Internet als Marktplatz benötigter Information (die neueste "Energiewettervorhersage") als auch als künftiges Steuerungsinstrument (Energiedienstleistungsunternehmen rufen die Vorhersageinformation ab, berechnen zu erwartende Lastverläufe und steuern entsprechend dezentrale Erzeuger und Verbraucher) ist durchaus eine Vision für die nahe Zukunft.
Ein erster Schritt in diese Richtung wird derzeit in einem EU-Forschungsprojekt unter Oldenburger Beteiligung unternommen: Aus Satellitenbildern gewonnene Einstrahlungsdaten werden genutzt, um die zu erwartenden Energieerträge von netzgekoppelten Photovoltaikanlagen zu bestimmen. Diese Information erlaubt den Betreibern der Anlagen einen Vergleich des tatsächlichen Ertrags mit dem bestmöglichen. Dies liefert Hinweise auf einen möglichen fehlerhaften Betrieb und hilft somit, den Energieertrag zu optimieren.
Mit der Gebäudetechnik sei ein weiterer Bereich mit einem besonders hohen Potential für die Umsetzung der genannten Merkmale genannt. In Verbindung mit Simulationsmodellen für die Bereiche Energie, Tageslichtnutzung und Lüftung können die Methoden aus der Energiemeteorologie hier zu energetisch wesentlich effizienteren und gleichzeitig komfortableren Gebäuden beitragen.
Die Autoren
Dr. Detlev Heinemann , Akademischer Rat in der Abteilung Energie- und Halbleiterforschung (EHF) am Fachbereich Physik, studierte Meteorologie in Kiel und promovierte 1990 in Oldenburg im Bereich Energieforschung. In den Jahren 1994 und 1995 leitete er kommissarisch die Arbeitsgruppe "Physik Regenerativer Energiequellen" (PRE). Heute ist er verantwortlicher Wissenschaftler für den Bereich der angewandten Energieforschung mit den Schwerpunkten Energiemeteorologie, Windenergie und Simulation von erneuerbaren Energiesystemen.
Prof. Dr. Jürgen Parisi, Hochschullehrer für Experimentalphysik und Leiter der Abteilung EHF, lehrte und forschte nach seiner Habilitation 1987 in Tübingen, Zürich und Bayreuth. 1995 wurde er nach Oldenburg berufen. Seine Forschungssschwerpunkte sind Photovoltaik, experimentelle Halbleiterphysik und Nichtlineare Dynamik.
Dr. Hans-Peter Waldl , wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Physik, studierte Physik in Marburg und Oldenburg und promovierte 1997 im Bereich Windenergieforschung. Für diesen Bereich ist er gegenwärtig der verantwortliche Wissenschaftler.