Presse & Kommunikation

EINBLICKE NR.25 APRIL 1997
FORSCHUNGSMAGAZIN DER CARL VON OSSIETZKY UNIVERSITÄT OLDENBURG

 

Liebe und Verliebtsein

von Ulrich Mees

Welche Gedanken, Gefühle und Handlungen kennzeichnen die Liebe? Worin unterscheiden sich Liebe und Verliebtheit? Erwartet man vom Partner mehr oder andere "Liebesbeweise", als man selbst zu zeigen bereit ist? Und schließlich: Welche Umstände führen zu einem "Entlieben"? Das sind Fragen zur menschlichen Liebe, die empirisch untersucht wurden. Mit einem Kind der Liebe, der Eifersucht, beschäftigt sich ein weiterer Beitrag ("Eifersucht - ein Kind der Liebe").

Jeder, der die Liebe erlebt hat, dürfte wohl der Behauptung zustim men, daß dieses Gefühl das schönste und wichtigste ist, das Menschen erleben können. Wer sich jedoch wissenschaftlich mit dem Thema "Liebe" auseinandersetzen will, muß rasch feststellen, daß damit der Vorrat an unstrittigen, von allen geteilten Meinungen zur Liebe auch schon erschöpft zu sein scheint. Sogar die Frage, ob die Liebe überhaupt wissenschaftlich analysiert werden kann und soll, wird kontrovers beantwortet.

Insbesondere zwei populäre "Mythen" bezweifeln die Möglichkeit bzw. den Wert einer wissenschaftlichen Erforschung der Liebe: Der erste Mythos besagt, daß die Aufgabe, das Phänomen der menschlichen Liebe zu definieren und zu erklären, prinzipiell unlösbar sei. Man habe es zwar seit Jahrtausenden versucht, aber bis heute könne keiner genau sagen, was die Liebe ist. Die Liebe sei etwas Rätselhaftes, ein unergründliches Geheimnis.

Der zweite Mythos geht noch über den ersten hinaus und behauptet: Selbst wenn wir das Rätsel der Liebe lösen könnten, sollten wir es nicht tun: Die Liebe als Mysterium sollte dies gefälligst auch bleiben! So gab in den 70er Jahren der damalige US-Senator William Proxmire eine Presseerklärung heraus, in der er die Stornierung von Mitteln für ein Forschungsvorhaben zum Thema Liebe wie folgt begründete: "Ich glaube, daß 200 Millionen Amerikaner meine Auffassung teilen, daß gewisse Dinge im Leben geheimnisvoll bleiben sollten, und an der Spitze der Liste jener Dinge, die wir nicht wissen wollen, steht, warum sich zwei Menschen ineinander verlieben!"

Die Behauptung, keiner wisse, was Liebe sei (wie es der erste Mythos aussagt), trifft in dieser Form nicht zu. Wir wissen sehr viel mehr, als wir ausdrücklich sagen können, sonst wären wir ja niemals in der Lage zu erkennen, wann wir eine andere Person lieben und wann diese Liebe möglicherweise aufhört. Aber natürlich wissen wir insgesamt noch viel zu wenig Ausdrückliches über die Liebe. Jedoch sollte diese Erkenntnis Anlaß für vertiefte Forschung geben und nicht für Resignation.

Der zweite Mythos beruht wohl auf der Befürchtung, daß die Liebe durch eine wissenschaftliche Definition oder Erklärung möglicherweise banalisiert wird, was zu einer "Entzauberung" der Liebe führen könnte, eventuell gar zur Abschwächung des Liebeserlebens. Dem muß jedoch entgegengehalten werden, daß die Liebe zu wichtig für das menschliche Wohlergehen und das Gedeihen intimer Sozialbeziehungen ist, als daß man sie wissenschaftlich ignorieren könnte: So gibt z. B. die überwiegende Mehrzahl aller Verheirateten an, daß die Liebe ihr Hauptgrund für die Ehe gewesen ist; andererseits scheitern in westlichen Industriegesellschaften derzeit weit über 30 % aller Ehen. Erich Fromm formulierte das Problem in seinem Klassiker "Die Kunst des Liebens" folgendermaßen: "Es gibt kaum ein Unterfangen, das mit so ungeheuren Hoffnungen und Erwartungen begonnen wird und das mit einer solchen Regelmäßigkeit fehlschlägt wie die Liebe. Wäre das auf irgendeinem anderen Gebiet der Fall, so würde man alles daran setzen, die Gründe für den Fehlschlag herauszufinden und in Erfahrung zu bringen, wie man es besser machen könnte - oder man würde es aufgeben. Da letzteres im Falle der Liebe unmöglich ist, scheint es doch nur einen richtigen Weg zu geben, um ein Scheitern zu vermeiden: Die Ursachen für dieses Scheitern herauszufinden und außerdem zu untersuchen, was Liebe eigentlich bedeutet."

Gedanken, Gefühle und Handlungen der Liebe

Die empirischen Untersu chungen, über die hier berichtet wird, sollten einen Beitrag zur Klärung dieser Frage leisten: "Was meinen wir, wenn wir von Liebe - genauer: der Liebe zum Partner - reden?" (Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird nicht jedesmal von "Partner/Partnerin" gesprochen, auch wenn natürlich stets alle denkbaren Partnerkonstellationen in 'romantischen' Liebesbeziehungen gemeint sind).

In einem ersten Schritt wurde ein Satz von 30 Merkmalen ermittelt, für die es theoretisch begründete Hinweise (die hier aus Platzgründen nicht näher erläutert werden können) dafür gibt, daß sie zentrale Bestimmungsstücke der Liebe zum Partner sein könnten. Einige Beispiele für diese Merkmale (die bestimmte Gedanken, Gefühle bzw. Handlungen beschreiben): Wer seinen Partner liebt, denkt häufig an ihn, sehnt sich bei längerem Getrenntsein nach ihm, achtet bzw. schätzt ihn, ist zärtlich zu ihm, hat volles Vertrauen zu ihm und freut sich über das Zusammensein mit ihm bzw. fühlt sich in seiner Gegenwart wohl (usw.).

Als nächstes wurde empirisch überprüft, ob diese Merkmale bei verschieden intensiven Liebeserlebnissen auch entsprechend unterschiedlich intensiv ausfallen (wie theoretisch angenommen). Dazu erhielten die befragten Personen (Studierende der Universität Oldenburg) einen Fragebogen mit diesen 30 Merkmalen und der Aufforderung zu beurteilen, wie sehr diese zutrafen bzw. noch zutreffen: Einmal bei ihrer bisher größten Liebe, zum anderen bei einer bloßen Liebesaffäre, die sie selbst beendet hatten.

Die Mittelwerte der Einstufungen aller 30 Merkmale fielen bei der Beurteilung der "bisher größten Liebe" signifikant höher aus als bei der "Liebesaffäre"; dieses Ergebnis zeigt, daß diese Attribute bedeutsame Intensitätsindikatoren der Liebe sind. Das Konzept der Partnerliebe ist mit diesen 30 Merkmalen natürlich nicht erschöpfend beschrieben, aber sie bilden vermutlich die wichtigsten Bestimmungsstücke der Liebe.

"Liebe" und "Verliebtsein"

In einer weiteren Untersuchung wurde nun geprüft, ob es einen Unterschied zwischen "Liebe" und "Verliebtsein" gibt. Dabei wurden die bereits erwähnten 30 Merkmale mit der Frage vorgelegt zu beurteilen, ob jedes dieser Merkmale bei der Liebe bzw. beim Verliebtsein "unverzichtbar" dazugehört. Nach den Ergebnissen dieser Studie weisen "Liebe" und "Verliebtsein" auf der einen Seite bestimmte Gemeinsamkeiten auf: Beide Gefühle sind durch die unverzichtbaren Merkmale "starke Zuneigung zum Partner", "Freude über das Zusammensein mit ihm" und "Zärtlichkeit" charakterisiert.

Gleichzeitig lassen sich aber gravierende Unterschiede ausmachen: "Verliebtsein" ist wesentlich gekennzeichnet durch das Verspüren "körperlicher Empfindungen" (also den berühmten "Schmetterlingen im Bauch", dem Herzklopfen, Kniezittern usw.) in Anwesenheit der geliebten Person. Dieses Merkmal ist jedoch bei der "Liebe" nur gering ausgeprägt. Ferner denken Verliebte sehr oft an die Person, in die sie sich verliebt haben und empfinden eine starke Sehnsucht nach ihr. Dagegen hat ein Verliebter kein "Vertrauen" in die geliebte Person, ist zu ihr nicht "offen und ehrlich" und will keine "Verantwortung" für sie übernehmen. Gerade diese Merkmale sind nun aber zentrale Bestandteile der Liebe. Zusätzlich ist diese noch gekennzeichnet durch die unverzichtbaren Merkmale: Wertschätzung des Partners, Trauer bei Ende der Liebe, Mitfreude, sehr gutes Verständnis, enge Verbundenheit und Akzeptieren von Schwächen.

Werden die Informanten nun direkt nach den Unterschieden zwischen "Liebe" und "Verliebtsein" gefragt, so ergibt sich des Rätsels Lösung: "Verliebtsein" wird nicht etwa als weniger intensiv eingestuft als die "Liebe", sondern sie ist in der Beziehungsgeschichte zweier Personen eine frühere Phase, die entweder nach einiger Zeit in "Liebe" übergeht oder aber endet. "Verliebtsein" ist also ein beziehungsgeschichtlich erstes Stadium, in dem man zwar heftigste körperliche Empfindungen verspüren kann, ständig an die geliebte Person denken muß und sich nach ihr sehnt, zugleich aber noch kein Vertrauen zu ihr haben kann, nicht offen und ehrlich zu ihr sein kann (im Gegenteil: ihr eigene Schwächen eher verheimlicht), und für die man noch keine Verantwortung übernehmen will, eben weil man die andere Person noch zu wenig kennt. Die Frage, wovon es abhängt, ob der Übergang vom Stadium der Verliebtheit zu demjenigen der Liebe gelingt oder nicht, bedarf der weiteren Untersuchung. Übrigens gaben etwa 15 % der Informanten an, daß für sie beides zutrifft: Sie lieben ihren Partner und sind immer noch in ihn verliebt.

Die eigene und die vom Partner erwartete Liebe

In einer weiteren Studie wurde die Frage geprüft, ob sich das Profil der eigenen Liebe zum Partner und das von diesem erwartete Liebesprofil voneinander unterscheiden oder nicht: Erwartet man möglicherweise vom Partner mehr oder andere Liebesindizien, als man selbst bereit ist zu zeigen? Dazu wurden die UntersuchungsteilnehmerInnen zunächst gefragt, mit welcher Intensität die o. g. 30 Merkmale (die ja bestimmte Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen beschreiben) auftreten, wenn sie eine andere Person lieben. Danach sollten sie die Frage beantworten, mit welcher Intensität sie dieselben Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen von ihrem Partner erwarten, wenn dieser sie wirklich liebt.

Die Ergebnisse zeigen, daß die beiden Liebesprofile sich zwar im großen und ganzen ähneln. Allerdings gab es bemerkenswerte Ausnahmen: Im Vergleich zur eigenen Liebe werden vom Partner mehr Liebesindizien erwartet: Der Partner soll "mehr Vertrauen" zu einem haben, als man selbst zu ihm hat; er soll einen "besser verstehen", als man ihn versteht; er soll "offener und ehrlicher" sein als man selbst; er soll "treuer sein" und einen mehr "begehren" als umgekehrt; und er soll einen selbst "ausschließlicher" und "länger" lieben, als man selbst ihm gegenüber dies zu tun bereit ist.

Offensichtlich erwartet man von seinem Partner mehr Liebesbeweise, als man selbst bereit ist zu zeigen. Wie ist diese "vorteilhafte Asymmetrie" der Erwartungen an die eigene Liebe im Vergleich zur Liebe des Partners zu erklären? Wahrscheinlich hat dieses Ergebnis etwas damit zu tun, daß die Befragten befürchten, bei einseitiger Liebe emotional verletzt werden zu können. Daher möchten sie möglichst sichergehen, daß sie von ihrem Partner auch wirklich wiedergeliebt werden. "Im Idealfall" erwarten sie also mehr und offensichtlichere Liebesbeweise vom Partner, gewissermaßen als Beleg dafür, daß sie diesen lieben können, ohne Gefahr zu laufen, daß die eigene Liebe unerwidert bzw. einseitig bleibt. Diese vorsichtige Position kann jedoch vom Partner als Anzeichen geringerer Liebe, u. U. sogar als Anzeichen von "Egoismus" aufgefaßt werden. Darin könnte ein nicht unerhebliches anfängliches Konfliktpotential für Liebesbeziehungen verborgen sein: Jeder der beiden Partner verlangt zunächst vom jeweils anderen eindeutigere Liebesbeweise, als er selbst zu zeigen bereit ist. Nach den Ergebnissen dieser Studie gilt dies für Frauen wie für Männer gleichermaßen.

Partnerbezogene Gründe für das "Entlieben" Schließlich wurde untersucht, welche Umstände zum Nachlassen bzw. Ende der eigenen Liebe zum Partner führen. Warum man sich in einen bestimmten Partner verliebt (bzw. ihn liebt) ist umstritten. Es liegen vielfältige wissenschaftliche Erklärungsversuche für den Beginn der Liebe zu einem bestimmten Partner vor. Hier interessierten wir uns nun für das gegenteilige Phänomen, nämlich für jene Gründe des "Entliebens", die nach Meinung der Befragten vom Partner ausgehen. Dazu wurden die UntersuchungsteilnehmerInnen gebeten, anzugeben, wie sehr ihre Liebe zum Partner abgeschwächt würde, wenn die einzelnen "Liebesindikatoren" jeweils nicht mehr vorhanden wären. Es wurde also z. B. gefragt: In welchem Ausmaß würde sich Ihre Liebe zum Partner abschwächen, wenn Sie feststellen, daß dieser nicht mehr zärtlich zu ihnen ist? usw. Nach den Ergebnissen dieser Studie ist die Liebe zum Partner, wenn sie erst einmal vorhanden ist insgesamt ein recht robustes Phänomen: Es muß schon einiges passieren, bevor die eigene Liebe entscheidend nachläßt! Dabei sind es ganz bestimmte Merkmale, die besonders wichtig zu sein scheinen: Wenn man merken würde, daß der Partner sich nicht mehr über ein Zusammensein freut, wenn er einen nicht mehr schätzt und achtet, wenn er nicht mehr offen und ehrlich zu einem ist, wenn man den Eindruck hat, daß man nicht mehr wichtig für ihn ist, wenn er noch andere Personen lieben oder wenn er keine Verantwortung mehr für einen übernehmen würde. Dies sind gleichsam die "Essentials" der Partnerliebe. Die Erkenntnis, daß der Partner einen nicht mehr liebt, wird also anhand bestimmter entscheidender Indikatoren gewonnen; und diese Einsicht ist eine wesentliche Bedingung für das Ende der eigenen Liebe zum Partner. Man kann seinen Partner offensichtlich nur dann auf Dauer lieben, wenn er diese Liebe auch erwidert. Der "unglücklich Liebende" ( etwa i.S. von Goethes Werther) ist zwar eine populäre, vielleicht sogar edle Romanfigur, die unser Mitgefühl erregt; in unserer Lebenswirklichkeit möchten wir allerdings nicht mit ihm tauschen!

Der Autor
Prof. Dr. Ulrich Mees, (53), Psychologe am Institut zur Erforschung von Mensch-Umwelt-Beziehungen im Fachbereich 5, wurde 1978 nach Oldenburg berufen. Nach dem Studium der Psychologie in Saarbrücken und Tübingen und seiner Promotion in Tübingen war er als Assistenzprofessor an der FU Berlin tätig, wo er sich 1978 habilitierte. Seine Forschungsschwerpunkte: Emotions- und Motivationspsychologie. Zusammen mit Prof. Dr. Uwe Laucken leitet er die Forschungsgruppe "Emotion und Kommunikation".