Presse & Kommunikation
EINBLICKE NR.25 | APRIL 1997 |
![]() |
|
FORSCHUNGSMAGAZIN DER CARL VON OSSIETZKY UNIVERSIT�T OLDENBURG
|
Inhalt
Das friesische Steinhaus
von Kurt Asche
Das sp�tmittelalterliche friesische Steinhaus, ein aus Backsteinen errichteter befestigter Wohnsitz, ist eine Besonderheit des Weser-Ems-K�stenbereichs. Es entstand etwa um die Mitte des 14. Jahrhunderts in den Territorien der friesischen "H�uptlinge" zwischen Ijsselmeer und Unterweser. Es l��t sich als ein meist eingeschossiger Ziegelbau �ber rechteckigem Grundri� mit Satteldach charakterisieren, in Einzelf�llen kommt es auch als Turmhaus vor. Als gehobene Wohnform wie als Bautypus zun�chst ein Vorrecht des niederen Adels, wurde es seit dem 15. Jahrhundert auch von Repr�sentanten der Territorialherren, der St�dte und der Kirche adaptiert. Politisch und sozial war es ein Machtsymbol und ein Instrument der Herrschaft - ein Nimbus, den es auch nach seinem Funktionswandel in sp�teren Jahrhunderten nicht verlor.
Das sp�tmittelalterliche Steinhaus der Nordseek�ste stellt sich nach allgemeinem Verst�ndnis als ein aus Backsteinen errichtetes, massives Geb�ude dar, das milit�rischen Schutz und repr�sentatives Wohnen in sich vereinte. Man kann davon ausgehen, da� das Verbreitungsgebiet dieses Haustyps etwa mit den Herrschaftsgebieten der friesischen "H�uptlinge" zwischen Ijsselmeer und Unterweser identisch ist. Als Wohnsitz der "Hovetlinge" oder "Capitales" des 14. und 15. Jahrhunderts wies das Steinhaus wesentlich die Merkmale einer Burg auf; es besa� Wall und Graben, es war also zugleich "Festung" und Residenz eines kleinen Potentaten von meist begrenzter Einflu�sph�re.
Dem friesischen Steinhaus genetisch verwandt ist das "Steinwerk" der St�dte des Hinterlandes, das in der Regel als massives, aus Na turstein oder Ziegeln errichtetes zweigeschossiges Haus auftritt und ein Gew�lbe im Keller sowie heizbare R�ume mit Kamin in Erd- und Obergescho� besitzt. Dessen Vorl�ufer war das mediterrane Turmhaus, wie es insbesondere in der Toskana und in Anagni bei Rom �berliefert ist. Im Unterschied dazu l��t sich das Steinhaus der Nordseek�ste als ein zumeist eingeschossiges, aus Backsteinen bestehendes Wohngeb�ude mit Satteldach �ber rechteckigem Grundri� definieren. Hierf�r hat sich die Bezeichnung Langhaus eingeb�rgert. In einzelnen F�llen konnte es �ber gedrungenem Rechteck auch bis zu drei Geschosse hoch werden und erhielt damit den Charakter eines Turmhauses. Von diesen Turmh�usern sind nur wenige erhalten geblieben, und speziell aus dem Gebiet zwischen Jade und Weser sind derartige H�user nicht �berliefert. H�ufig wurde das eingeschossige Steinhaus mit einer sp�ter angef�gten, sogenannten Gulfscheune unter einem Dach zusammengefa�t oder in einen gr��eren Bauernhof integriert. Dabei herrschte aber �u�erlich der b�uerliche Charakter vor, nicht der einer Burg. Das illustrierte eindrucksvoll das Steinhaus von Gut Sanderbusch mit seinem Renaissancegiebel und den zinnenbekr�nten Staffeln. Es war um 1850 im Besitz des Gro�vaters von Karl Jaspers und wurde erst 1972 abgebrochen. Heute erinnert nur noch der alte Baumbestand im Park des Landeskrankenhauses Sanderbusch an die einst umf�ngliche, mit Wall und Graben versehene Anlage, die L�bbe Eiben, der Neffe des jeverschen Kanzlers Remmer von Seediek, im Jahr 1551 errichten lie�.
Die H�user der H�uptlinge
Die Verbindung vieler Steinh�user mit den gro�en H�fen der Marsch scheint einen Hinweis auf den Ursprung der Bewohner zu liefern: in der Tat war ja das Steinhaus anfangs ein Wohnsitz f�r m�chtige und reiche Grundherren, die aus der Oberschicht der mittelalterlichen, republikanischen "terrae", der Landesgemeinden, hervorgegangen waren. Im 13. Jahrhundert als Consules, als "Redjeven" oder Richter gew�hlt, emanzipierten sie sich um die Mitte des 14. Jahrhunderts zu H�uptlingen, also zu Dynasten mit erblichen Rechten. Deren Familien waren urspr�nglich freie Bauern und nicht etwa adlig. Sie kamen zumeist durch kriegerische Auseinandersetzungen, aber auch durch allgemeinen Konsens ihrer Gefolgsleute, in den Status von "H�uptlingen" und "Herren".
Bauernburg und "Upkamer"
Der b�uerliche Ursprung der ersten H�uptlingsfamilien erscheint bis heute direkt tradiert in einigen gro�en "Platzgeb�uden" des ostfriesischen Rheiderlandes, die auch als Bauernburgen bezeichnet werden. Diese Bauernburgen bestehen aus einem deutlich erkennbaren Wohngeb�ude mit Giebel und Satteldach, dem eigentlichen Steinhaus, aus einem kurzen Zwischenbau mit Querflur und aus einer gro�en, nachtr�glich angebauten Gulfscheune mit seitlicher Einfahrt. Dabei bildet die am Giebel gelegene "Upkamer", der etwas erh�ht angeordnete Wohnraum mit dem Kamin, der auch als Saal bezeichnet wird, das wichtigste grundri�lich-konstruktive Merkmal. Unser Querschnitt des Steinhauses von Sander-Seedeich bei Wilhelmshaven illustriert das anschaulich, er zeigt auch den unter der Upkamer befindlichen gew�lbten Halbkeller. Im Grundri� sieht man einen Schornstein, der ehedem Upkamer, K�che und eine R�ucherkammer bediente. In diesem Steinhaus hat sich der urspr�ngliche Kamin aus dem Jahr 1550 bis heute erhalten.
Upkamer mit Kamin und Halbkeller sind nicht nur ein Merkmal des friesischen Steinhauses, es gab sie auch im st�dtischen Wohnhaus der Nordseek�ste, etwa in Emden, in Groningen oder in Sielh�fen und Marktflecken zwischen Ems und Weser. Beim st�dtischen Wohnhaus lag dann im Keller zumeist die K�che, niederdeutsch als "Kellerk�ke" bezeichnet. Auf diese Weise lie�en sich zwei oder drei Feuerstellen an einen gemeinsamen Schornstein anschlie�en. Eine derartige, vertikale Verbindung mehrerer beheizbarer R�ume durch einen gemeinsamen Rauchabzug ist w�rmetechnisch und baukonstruktiv gleicherma�en von Vorteil. Sie blieb �ber Jahrhunderte auf Adelsresidenzen und st�dtische Bauten mit massiven Schornsteinen beschr�nkt, und sie steht in Antithese zum ebenerdigen, offenen Herdfeuer des sogenannten Niederdeutschen Hallenhauses, wie es im nieders�chsischen Hinterland verbreitet war. Im Unterschied dazu wurde das Steinhaus der K�ste in Verbindung mit der Gulfscheune urs�chlich f�r die Sonderentwicklung des friesischen Bauernhauses mit seiner klaren Trennung in Wohn- und Wirtschaftsbereich.
Damit stellt sich die Frage nach dem Ursprung und der Priorit�t dieser "Erfindung". Es ist bisher nicht gekl�rt, ob das hier beschriebene Steinhaus der K�stenmarschen durch das fortschrittliche, st�dtische Haus friesischer Kaufleute und Fernh�ndler inspiriert wurde, oder ob die genannten Neuerungen von den H�uptlingen als den Bewohnern der Turm- und Steinh�user eingef�hrt wurden. Es scheint, da� der beheizbare Saal als eine h�here Form des Wohnens eher aus dem mittelalterlichen Burgenbau herzuleiten ist - wie ja auch der Wohnturm im "Donjon" der fr�hen Burg einen Vorl�ufer hat - w�hrend die vertikale Anordnung von K�che und Upkamer vielleicht als b�rgerliche Neuerung in den K�stenst�dten entwickelt wurde, nicht zuletzt als Folge des hohen Grundwasserstandes und der engen Bebauung auf den schmalen Grundst�cken. Ohne den innovativen Anteil von Adel oder B�rgertum bei diesem Proze� n�her bestimmen zu k�nnen, mu� man feststellen, da� Steinhaus und st�dtisches B�rgerhaus seit sp�testens der Mitte des 16. Jahrhunderts wichtige bauliche Prinzipien und konstruktive Neuerungen integrieren. In dieser Form bilden sie eine Besonderheit innerhalb der Architektur der Nordsee-K�stenmarsch.
Neuere Formen im 16. Jahrhundert
Der Begriff Steinhaus erfuhr im 16. Jahrhundert eine Erweiterung, indem er nicht mehr nur die vorstehend beschriebenen Haustypen bezeichnete, sondern zunehmend auch Geb�ude mit b�rgerlicher Funktion einschlo�. Es sind dies die freistehenden Wohn- und Verwaltungssitze von herrschaftlichen und gr�flichen Beamten, von Rentmeistern, Kanzlern und Richtern, sowie die zumeist in Marktflecken und Kirchd�rfern anzutreffenden zweigeschossigen Pastoreien. Diese relativ kleinen Geb�ude, die den vorgenannten Langh�usern in Form und Volumen h�ufig gleichen, erinnern in nichts mehr an den wehrhaften Zweck ihrer mittelalterlichen Vorl�ufer, und die �berlieferten Objekte stammen �berwiegend erst aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Als Beispiele seien die Pastoreien in Sande, Schortens und Langwarden, das "Rechthuis" im niederl�ndischen Bellingwolde und die "Rentei" des Kanzlers Remmer von Seediek in Jever, die nur in einer Zeichnung dokumentiert ist, genannt. Auch das Steinhaus des ehemals gr�flich-oldenburgischen Vorwerks Maihausen bei Hooksiel, das um 1600 errichtet und vor f�nf Jahren vorbildlich wiederhergestellt wurde, geh�rt in diesen Zusammenhang. In der Pastorei zu Langwarden, die im 16. Jahrhundert ihr Obergescho� erhielt und die von C. Woebcken irrt�mlich als Kapelle gedeutet worden ist, haben sich beiderseits des Kamins mehrere gotische Fensterblenden erhalten.
Dieses vermutlich �lteste Wohnhaus zwischen Weser und Ems, dessen Baumaterialien Tuff und Sandstein auf das 13. Jahrhundert zur�ckgehen, d�rfte eher als Wohnung eines Klerikers denn als Kapelle gedient haben. Im Inneren ist das mittelalterliche und fr�hneuzeitliche Mauerwerk durch eine dicke Putzschicht verdeckt, eine zuverl�ssige Datierung dieses f�r die regionale Architekturgeschichte wichtigen Geb�udes wird erst nach einer Freilegung m�glich sein. Die Zeichnung des Ostgiebels von Langwarden repr�sentiert eine Rekonstruktion in Analogie zu gleichzeitigen Giebel- und Fensterformen sp�tgotischer H�user in Deventer, Emden und Stapelmoor.
Die Aufz�hlung verdeutlicht, da� auch der Bau eines unbefestigten Steinhauses mit Residenz- oder Verwaltungsfunktion, wie es von der Mitte des 15. bis zum 17. Jahrhundert �berliefert ist, entsprechende weltliche oder kirchliche Auftraggeber beziehungsweise eine exponierte, amtliche Stellung voraussetzte. So nimmt es nicht wunder, da� die besondere Qualit�t und die Aura von Macht und Herrschaft, die den fr�hen Burgen und H�uptlingssitzen eignete, auf die sp�teren amtlichen und klerikalen Steinh�user �berging. Diese blieben auch im 16. und 17. Jahrhundert immer noch bauliches Symbol einer gesellschaftlichen Oberschicht oder Ausdruck einer offiziellen, hoheitlichen Funktion.
Der Autor
Prof. Dr.-Ing. Kurt Asche, Privatdozent f�r Architekturgeschichte und Denkmalpflege am Fachbereich 2, studierte Kunstgeschichte, Arch�ologie, Architektur sowie Stadt- und Regionalplanung in Bonn, Braunschweig, Karlsruhe und Toronto. Als Architekt war er u.a. in Kanada (1958 - 1962) t�tig. 1964 wurde er Hochschullehrer f�r Baugeschichte an der Fachhochschule Oldenburg. Der Promotion an der Technischen Universit�t Karlsruhe 1977 folgte 1984 die Habilitation an der Universit�t Oldenburg. Asche war Akademiestipendiat der Stiftung Volkswagenwerk und 1989 Gastwissenschaftler der kanadischen Regierung an der Universit�t Toronto.