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UNI-INFO
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M
it einer Lichtenberg-Professur
der VolkswagenStiftung hat
der Neurowissenschaftler Prof. Dr.
Martin Greschner im Juni seine wis-
senschaftliche Arbeit an der Univer-
sität aufgenommen. Greschner setzt
sich in seinem neuen Arbeitsbereich
„Neurobiologie des Sehens – Visual
Neuroscience“ mit der Kodierung
visueller Reize auseinander: Wie
übermittelt die Netzhaut, das licht-
empfindliche neuronale Gewebe des
Auges, die visuellen Reize über den
Sehnerv an das Gehirn?
Der Neurowissenschaftler begann
seine wissenschaftliche Karriere an
der Universität Oldenburg: Er stu-
dierte Biologie und Chemie und pro-
movierte in der Arbeitsgruppe „Neu-
robiologie“ über die Zeitstruktur der
Ganglienzellenaktivität. Zuletzt war
er am renommierten Salk Institute for
Biological Studies in La Jolla (Kali-
fornien, USA) tätig.
Morphologische Studien zeigen,
dass beim Menschen etwa 20 ver-
schiedene Arten Ganglienzellen bei
der visuellen Erfassung der Umwelt
beteiligt sind und Signale an das
Gehirn senden. Dabei gibt es kaum
Erkenntnisse darüber, wie diese Si-
gnale von den verschiedenen Zell-
typen gemeinsam die Grundlage für
die visuelle Wahrnehmung bilden.
Um darüber Aufschluss zu erhal-
ten, verwendet Greschner neuartige
Multi-Elektroden-Arrays, die in der
Lage sind, die Signale von vielen hun-
dert Zellen simultan aufzuzeichnen.
Seine Forschungen können wichtige
Erkenntnisse für die Entwicklung von
Netzhautprothesen und künstlichen
Sehsystemen liefern.
Mit der Initiative „Lichtenberg-Profes-
sur“ fördert die VolkswagenStiftung
herausragende WissenschaftlerInnen
in innovativen Lehr- und Forschungs-
feldern. Ihnen wird die Möglichkeit
gegeben, ein eigenständiges neues
und interdisziplinäres Forschungsfeld
an einer Universität ihrer Wahl zu
verankern. (tk)
Reize auf der Netzhaut
Lichtenberg-Professur für Martin Greschner
UNI-INFO: Von Oldenburg über die
USA nach Oldenburg: Warum treten
Sie ihre Lichtenberg-Professur aus-
gerechnet hier an?
GRESCHNER: Die Universität Olden-
burg ist für mich genau das Rich-
tige. Sie ist groß genug, dass ich
viele gute Kollegen für Anregungen
und zumGedankenaustausch habe.
Gleichzeitig ist sie familiär genug,
dass man sich kennt und unterstützt
Drei Fragen an Martin Greschner
besondere Stärke des kooperativen An-
satzes: „Die Beteiligten bringen mit
ihren Projekten eine derart große Band-
breite unterschiedlicher Gegenstände
und historischer Zeiträume ein, dass
wir über die Analyse beispielsweise der
Interventionen der Bevölkerungspoli-
tik oder der Gesundheitsförderung im
aktivierenden Sozialstaat eine breite
kulturwissenschaftliche Expertise aus-
bilden werden.“
ImZentrumsrat wirken neben Alkemeyer
als Direktor die Kunstwissenschaftlerin
Prof. Dr. Silke Wenk, die Historikerin
Prof. Dr. Dagmar Freist, der Philosoph
Prof. Dr. Johann Kreuzer, der Pädagoge
Prof. Dr. Paul Mecheril, der Historiker
Jun.-Prof. Dr. Malte Thießen sowie Dr.
Nikolaus Buschmann und Rea Kodalle
(beide Sportwissenschaftler). (tk)
O
ldenburger Geistes-, Gesellschafts-
und KulturwissenschaftlerInnen
haben ein neues Wissenschaftliches
Zentrum gegründet. Es heißt „Gene-
alogie der Gegenwart“ und soll die
Entwicklung moderner Gesellschaften
erforschen – auf der Grundlage von Ge-
genwartsdiagnosen und Zukunftsent-
würfen. „Wie entstehen Utopien aber
auch Dystopien in einer Gesellschaft?“
benennt Prof. Dr. Thomas Alkemeyer,
(Sport-)Soziologe und federführendes
Gründungsmitglied des Zentrums, eine
der Ausgangsfragen. „Und welche Rolle
spielt dabei die Wahrnehmung und In-
terpretation von Statistiken, Messungen,
Bildern und Konzepten – zu unterschied-
lichen historischen Zeitpunkten?“
Das Wissenschaftliche Zentrum sieht ge-
sellschaftliche Prozesse als Ausdrucks-
formen sozialer Praxis – die sich perma-
nent aufeinander beziehen. So geht zum
Beispiel Prof. Dr. Thomas Etzemüller –
als Heisenberg-Stipendiat zentral an der
inhaltlichen Ausrichtung des Zentrums
beteiligt – der Frage nach: Wie konnten
demographische Entwicklungen im Lau-
fe des 19. und 20. Jahrhunderts in ganz
Europa in den Fokus gesellschaftlicher
Krisenwahrnehmung und staatlicher
Interventionspolitik rücken? Erst über
Techniken der Visualisierung könne
„Bevölkerung“ sichtbar gemacht werden
und als „Mitspielerin des Sozialen“ in
die Gestaltung von Gegenwart und Zu-
kunft einbezogen werden, so Etzemüller.
Aktuell führen die Mitglieder des
Zentrums Planungsgespräche über die
Themenschwerpunkte und Forschungs-
strategien. Alkemeyer betont dabei die
Die Entwicklung moderner
Gesellschaften verstehen
Forschungszentrum Genealogie der Gegenwart nimmt Arbeit auf
J
edes Jahr im australischen Sommer,
von Dezember bis Februar, findet im
Great Barrier Reef eine Massenwande-
rung von Fischlarven statt. Ähnlich wie
die Lachse zum Laichen an die Mün-
dung ihres Geburtsflusses wandern,
kehren die Korallenriff-Fische an ihr
Heimatriff zurück. Ein Wanderungs-
verhalten, das Prof. Dr. Gabriele Ger-
lach seit etwa zehn Jahren untersucht.
Jetzt konnte die Hochschullehrerin für
Biodiversität und Evolutionsbiologie der
Tiere zusammen mit dem Biologen und
Experten für Neurosensorik, Prof. Dr.
Henrik Mouritsen (beide Universität
Oldenburg), nachweisen: Die Larven
nutzen zur Navigation im offenen Oze-
an einen Sonnenkompass.
Unter dem Titel „Sun Compass Orien-
tation Helps Coral Reef Fish Larvae
Return to their Natal Reef” („Orien-
tierung mit dem Sonnenkompass hilft
Korallenriff-Fischen an ihr Geburts-
riff zurückzukehren“) haben Gerlach
und Mouritsen gemeinsam mit Michael
Kingsford (James Cook University in
Townsville, Australien) und Jelle Ate-
ma (Boston University, USA) jetzt die
Ergebnisse ihrer Forschungen in der
international renommierten Online-
Fachzeitschrift der Public Library of
Science Plos One veröffentlicht.
Nur wenige Wochen, nachdem die Lar-
ven im Riff geschlüpft sind, werden sie
nachts ins freie Wasser gespült. Lange
ging die Wissenschaft davon aus, es sei
reiner Zufall, wohin die Strömungen
und Stürme die nur wenige Millimeter
großen Larven verdriften. Um ihrem
Wanderungsverhalten auf die Spur zu
kommen, untersuchte Gerlach die Lar-
ven mittels genetischer Marker. „Wie
man DNA-Spuren zu kriminalistischen
Zwecken verwendet, so lässt sich die
DNA-Analyse nutzen, um die Her-
kunftsriffe der Larven zu bestimmen“,
erläutert die Wissenschaftlerin.
Auf diese Weise konnte sie zeigen: Ein
Großteil der Larven wurde mehr als 15
Kilometer weit verdriftet. 60 Prozent
siedeln sich aber auch wieder an ihren
Heimat-Riffs an. Diese Rückkehr sei
vor allem bei sehr isolierten Riffen
überlebenswichtig, so die Biologin.
Ohne einen Orientierungssinn würden
die Larven im Ozean zugrunde gehen.
Wie also finden die marinen Winzlinge
zurück zu ihrem Zuhause?
Zusammen mit Kingsford und Atema
fand Gerlach heraus, dass die Larven
sich am Geruch orientieren können. Sie
können ihr Riff bis zu einer Entfernung
von zwei Kilometern erschnüffeln –
eine beachtliche Fähigkeit, doch in den
Weiten des Ozeans hilft sie nicht weiter.
Strömungsmodelle zeigen: Die meisten
Larven werden in der ersten Woche um
mehr als zehn Kilometer in Richtung
Nordwesten verdriftet. Die Frage also
bleibt: Wie finden die Larven ihren Weg
zum Geburtsriff?
Mouritsen als Experte für die Naviga-
tion von Vögeln wagte eine Hypothese.
Möglicherweise, so Mouritsen, nutzen
die Korallenriff-Fische – ähnlich wie
Zugvögel – einen Sonnenkompass. Die
WissenschaftlerInnen hatten nämlich
beobachtet, dass die Larven auf ihrem
Weg zurück zum Geburtsriff stets in
südsüdöstlicher Richtung schwammen
– vorausgesetzt, der Himmel war klar
und die Sonne sichtbar. „Diese Rich-
tung wäre optimal, um gegen die vor-
herrschende Nordnordwest-Strömung
anzuschwimmen und zum Heimatriff
zu gelangen“, so Mouritsen.
Der Sonnenstand verändert sich mit
dem täglichen Weg der Sonne über den
Himmel. Um die Sonne als Kompass
nutzen zu können, müssten also die
Fischlarven über eine innere Uhr verfü-
gen. Um dies zu überprüfen, veränderte
Mouritsen in einem Laborexperiment
für einige Tiere den Wechsel von Licht
und Dunkelheit. So stellte er ihren Tag-
Nacht-Rhythmus um sechs Stunden
vor. Das Ergebnis: Sie schwammen in
die entgegengesetzte Richtung – ein
deutlicher Beleg für die innere Uhr, die
den Larven die Navigation ermöglicht.
So konnten die Wissenschaftler zeigen:
Die Korallenriff-Larven verfügen also
wirklich über eine zeitkompensierte
Sonnenkompass-Orientierung, und sie
nutzen diese, um die unvermeidbare
Drift nach Nordnordwesten zu kompen-
sieren – und ihr Geburtsriff wiederzu-
finden. Lässt sich diese Lösung eines
bislang rätselhaften Wanderns auch auf
andere Tiere übertragen? Gerlach und
Mouritsen gehen davon aus, dass die he-
rausgearbeiteten Fähigkeiten nicht nur
bei Korallenriff-Fischen vorkommen
können, sondern bei vielen marinen
Lebewesen. (mr)
Gabriele Gerlach, Henrik Mouritsen, Jelle
Atema, Michael Kingsford: „Sun Compass
Orientation Helps Coral Reef Fish Larvae
Return to their Natal Reef“
Wie Fische ihren Weg finden
Internationales Forscherteamuntersucht Wanderungen von Korallenriff-Fischen
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Das eigene Riff „erschnüffeln“ und die Sonne als Kompass nutzen: Korallenriff-Fische
Foto: i-stockphoto/richcarey
und dass es hier kurze Wege gibt.
UNI-INFO: Sie sind gebürtiger Fran-
ke – Saure Zipfel oder mittlerweile
Grünkohl?
GRESCHNER: Das Schöne ist ja, dass
ich im Norden beides haben kann.
Bei mir ist es jedoch der Leberkäse,
wozu dann allerdings doch inOlden-
burg die Kümmelbrötchen fehlen.
Es hat mich übrigens sehr gefreut,
dass Grünkohl in Kalifornien in den
letzten Jahren zum Trendgemüse
geworden ist und dadurch regelmä-
ßig zu finden war.
UNI-INFO: Wasmachen Sie, wenn Sie
nicht gerade mit Multi-Elektroden-
Arrays die Retina erforschen?
GRESCHNER: Ich baue und werfe
ganz gerne Bumerangs – nur an
dem Zurückkommen muss ich noch
etwas arbeiten.
Interview: Tobias Kolb
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