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UNI-INFO
40. Jrg. 6/13
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nGeno heißt das neue Verbund-
projekt, das die Potenziale genos-
senschaftlicher Strukturen bei der
Energiewende ausloten soll (siehe
Kasten). Ende Juni fand die Auftaktver-
anstaltung in Oldenburg statt. Vor Ort
war auch Luise Neumann-Cosel, Jahr-
gang 1986. Die Mitbegründerin und
Vorstand der Genossenschaft „Bürger
Energie Berlin“ berichtete aus der Pra-
xis. Für UNI-INFO fasst sie in einem
Gastbeitrag Hintergrund und Ziele
der Bürgergenossenschaft zusammen.
G
anz normale Menschen legen
ihr Geld zusammen und kaufen
dem multinationalen Energiekonzern
Vattenfall das größte Stromnetz der
Bundesrepublik ab. Was wie purer
Größenwahn klingt, wird in Berlin
gerade Realität. Und in ähnlicher Form
in vielen anderen Städten, darunter
auch Oldenburg.
Der Hintergrund ist einfach, die Ge-
legenheit einmalig. Denn in zehntau-
senden Kommunen bundesweit laufen
momentan die sogenannten Konzessi-
onsverträge, Nutzungsgenehmigungen
für den Betrieb der Energienetze, mit
den Netzbetreibern aus. In einem Ver-
gabeverfahren, das viel Spielraum für
politische Entscheidungen lässt, wählt
die örtliche Verwaltung den Netzbe-
treiber für die kommenden 20 Jahre
aus. Der Clou dabei: Die Neuvergabe an
einen anderen Netzbetreiber zwingt den
alten Konzessionär zum Verkauf des
Netzes. Da wittern viele ihre Chance
auf ein gutes Geschäft. In Berlin etwa
bewerben sich neben dem jetzigen Be-
treiber Vattenfall auch ein chinesischer
Staatskonzern und ein riesiger Stadt-
werkeverbund. Und die Berliner Bürger.
Die Zukunft der
Energieversorgung
D
ie haben sich mit einer Bürgerge-
nossenschaft beim Land Berlin um
die Stromnetz-Konzession beworben.
Die „BürgerEnergie Berlin eG“ will die
für den Kauf des Netzes nötigen Milli-
onen von den Bürgern einsammeln, um
das Netz zukünftig in einem bürgerei-
genen Unternehmen zu betreiben. Denn
die Zukunft der Energieversorgung in
der Stadt und auch das Netz als Element
der Daseinsvorsorge soll nicht einem
großen Energieversorger überlassen
werden, sondern in die eigenen Hände
genommen werden. Nicht zuletzt auch
deshalb, weil mit dem Netz Jahr für
Jahr Millionen verdient werden. Die
staatliche Regulierung der Netze be-
schert deren Besitzern sichere Renditen
um neun Prozent, die die Verbaucher
mit ihrer Stromrechnung begleichen
müssen. Die Stromgenossen wollen die
Fließrichtung des Geldes ändern: Die
Gewinne sollen nicht länger aus der
Stadt ab-, sondern in die Energiewende
vor Ort und zu den Bürgern zurückflie-
ßen
so das Ziel. Über seine Genossen-
schaftsanteile kann jeder Bürger und
jede Bürgerin auch direkt am Gewinn
aus dem Netz teilhaben – das macht
eine Beteiligung für den Einzelnen
auch finanziell attraktiv und die großen
Summen, die für den Kauf des Netzes
nötig sind, erreichbar.
Dass so eine Idee mehr als Größenwahn
ist, beweist unter anderem die Geschich-
te der „Schönauer Stromrebellen“. Was
nach dem atomaren Super-GAU von
Tschernobyl als eine Elterninitiative ge-
gen Atomkraft begann, wurde zu einer
Bürgergenossenschaft, die ihr örtliches
Stromnetz übernahm. Die „Elektrizi-
tätswerke Schönau“ betreiben seither
ihr Netz in Eigenregie und versorgen
mittlerweile bundesweit über 150.000
Menschen mit Ökostrom. Und auch
wenn die Hauptstadt eine andere Grö-
ßenordnung ist, hat das Schönauer Vor-
bild doch eindrucksvoll gezeigt, dass
ein Netz in den Händen der Bürger soli-
de betrieben und bewirtschaftet werden
kann. Heute sitzt einer der Köpfe der
„Stromrebellen“, der Schönauer Arzt
Dr. Michael Sladek, im Aufsichtsrat der
BürgerEnergie Berlin, um seine Erfah-
rungen in der Großstadt einzubringen.
Bürgergenossenschaft
als Kontrollinstanz
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ort ist die Situation etwas anders
als in seinem Heimatort. Während
das Schönauer Netz zu 100 Prozent der
Bürgergenossenschaft gehört, sollen in
Berlin die Genossenschaft und das Land
Berlin das Netz gemeinsam betreiben.
Unter Gesichtspunkten der Daseinsvor-
sorge ist die Beteiligung der öffentli-
chen Hand den Berliner Stromgenossen
wichtig. Ebenso wie 265.000 Berlinern,
die kürzlich ein Volksbegehren zur Re-
kommunalisierung des Netzes unter-
zeichnet haben. Dennoch, die Bürger-
genossenschaft soll in der gemeinsamen
Netzgesellschaft eine ebenso wichtige
Rolle spielen: Als Kontrollinstanz der
öffentlichen Hand und als Garant für
die Energiewende und Transparenz im
künftigen Netz-Unternehmen. Ist die
Bürgergenossenschaft amNetz beteiligt,
kann sie dafür sorgen, dass ein Teil des
Gewinns aus dem Netzbetrieb zurück in
die Energiewende in der Region fließt.
Andersherum bedeutet der Zusammen-
schluss von Bürgerinnen und Bürgern,
die sich finanziell an Kauf und Betrieb
des Netzes beteiligen, eine relevante Ent-
lastung für den Haushalt der Kommune.
Doch noch einmal genauer auf das Kon-
zept geschaut: Was macht das Modell
Bürgergenossenschaft für den Betrieb
eines Stromnetzes so attraktiv? Die
Antwort liegt in der grundsätzlichen
Beschaffenheit jeder Genossenschaft:
Das Prinzip „Ein Kopf – eine Stim-
me“ verhindert eine Konzentration der
Stimmgewalt auf wenige finanziell
potentere Anleger und sichert so die
demokratische Entscheidungsfindung
im Unternehmen. Denn die alternative
Eigentümerstruktur der Genossenschaft
ermöglicht eine gemeinwohlorientierte
Ausrichtung des Netz-Unternehmens.
Nachhaltiger
Netzbetrieb
W
er wie eine Bürgergenossenschaft
nicht von vorneherein auf Ren-
ditemaximierung aus sein muss, kann
deutlich besser für einen nachhaltigen
Netzbetrieb sorgen als ein rein profit-
orientiertes Unternehmen. Mindestens
ebenso wichtig ist es jedoch, dass die
Genossenschaft eine weitere Möglich-
keit für die Bürgerinnen und Bürger
darstellt, Kontrolle über die Energiepo-
litik vor Ort auszuüben – und zwar auf
direktemWege. So kann eine Genossen-
schaftsbeteiligung einen Wiederverkauf
des Netzes an ein privates Unternehmen
verhindern und Vetternwirtschaft und
Filz entgegenwirken. Der entscheidende
Punkt bei der Beteiligung von Genos-
senschaften an der Energiewirtschaft
ist jedoch, dass sie eine direkte Betei-
ligung der Bürgerinnen und Bürger an
den Entscheidungen über die Energie-
versorgung als Teil der öffentlichen
Daseinsvorsorge ermöglichen, ohne
dabei abhängig von politischen Lagern
oder parlamentarischen Entscheidungen
zu sein. Der eigene Anteil am örtlichen
Stromnetz oder Stadtwerk schafft Iden-
tifikation mit der Energiewende vor der
eigenen Haustür. Und er ermöglicht,
dass die Bürgerinnen und Bürger je-
derzeit an der Gestaltung der Energie-
versorgung, von der sie direkt abhängig
sind, mitwirken können, ohne den oft
mühsamen und langwierigen Weg eines
direktdemokratischen Verfahrens gehen
zu müssen.
Letztlich bedeutet eine direkte Bürger-
beteiligung mit dem Modell Genos-
senschaft eine Dezentralisierung nicht
nur in der Energieerzeugung, sondern
auch in der Entscheidungsgewalt. Bür-
gerinnen und Bürger rücken stärker in
das Zentrum der Entscheidungen über
das künftige Energiesystem und sorgen
für einen dynamischeren politischen
Prozess
zwei Faktoren, die für eine
ernstgemeinte Energiewende nicht nur
wünschenswert, sondern notwendige
Voraussetzung sind.
Dezentral organisierte
Energielandschaft
D
enn grundsätzlich geht es den Ber-
linern beim Netzkauf-Projekt wie
vielen anderen Energiegenossenschaften
nicht nur um das eigene Projekt, sondern
vor allem auch darum, demokratische-
re Strukturen in der Energiewirtschaft
zu ermöglichen. Der Umbau unseres
Strom- und Wärmesystems hin zu einer
erneuerbaren, dezentral organisierten
Energielandschaft ist eine zentrale ge-
sellschaftliche Zukunftsaufgabe, die
nur unter Einbindung der Bürgerinnen
und Bürger vor Ort auf Augenhöhe er-
folgreich sein kann. Bürgerenergiege-
nossenschaften leisten einen immensen
Beitrag zu dieser Aufgabe, nicht nur
indem sie die Akzeptanz für die Ener-
giewende steigern. Vor allem tragen sie
schon heute deutlich mehr zum Umstieg
auf Erneuerbare Energien bei als die
wenigen großen Energieversorger, die
in den vergangenen Jahrzehnten mit
fossilen Strukturen den Energiemarkt
beherrschten: Mehr als die Hälfte der
installierten Leistung zur erneuerbaren
Stromerzeugung befindet sich in den
Händen von Bürgern, Genossenschaften,
Landwirten und Kommunen.
Erzeugungsanlagen und Energienetze
in Bürgerhand sind ein wesentlicher
Schritt auf dem Weg hin zu einem ge-
nerationengerechten und nachhaltigen
Energiesystem – aus dem schlichten
Grund, weil diese das größte Interes-
se daran haben. Diese Entwicklung
findet allerdings nicht ohne Abwehr-
maßnahmen statt: Was in Berlin die
Mein Haus, mein Boot, mein Umspannwerk
Warum die Genossenschaft BürgerEnergie Berlin das Stromnetz in Bürgerhände legen will / Von Luise Neumann-Cosel
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iberalisierung und Preisexplosion
im Energiesektor haben eine über-
raschende Reaktion gezeitigt: die Re-
naissance der Genossenschaftsidee.
Die Zahl der Energiegenossenschaf-
ten, die auf dezentrale, umweltscho-
nende und nachhaltige Energiever-
sorgung abzielen, hat sich allein von
2008 bis 2011 vervierfacht. „EnGeno
– Transformationspotenziale von En-
ergiegenossenschaften. Mit postfossi-
len Dezentralisierungsstrategien zur
Energiewende“ – so nennt sich ein
Verbundprojekt, das die Potenziale
genossenschaftlicher Strukturen bei
der Energiewende analysieren und
abschätzen will. Es ist Ende Juni mit
einem Gastvortrag von Luise Neu-
mann-Cosel eröffnet worden, die die
BürgerEnergie Berlin eG leitet (siehe
Beitrag auf dieser Seite).
Das Bundesministerium für Bildung
und Forschung (BMBF) fördert das
Projekt für drei Jahre mit rund einer
Million Euro. Die Universität Ol-
denburg koordiniert es – Leiter sind
Prof. Dr. Reinhard Pfriem und Prof.
Dr. Niko Paech – Projektpartner sind
das Helmholtz-Zentrum für Umwelt-
forschung (UFZ) in Leipzig, das In-
stitut dezentrale Energietechnologien
gGmbH (IdE) in Kassel, das Eduard
Pestel-Institut für Systemforschung
in Hannover sowie verschiedene En-
ergiegenossenschaften.
Genossenschaften sind die neuen
Akteure beim Umbau der Energie-
versorgung in Richtung erneuerbarer
Energien. EnGeno untersucht ihre
Wirkungschancen. Dabei geht es
um die Motive und Interessen der
individuellen und kollektiven Ge-
nossenschaftlerInnen und um die
Hindernisse, die sie zu überwinden
haben, um Fragen der Wirtschaft-
lichkeit, des Managements und um
institutionelle Rahmenbedingungen.
Die WissenschaftlerInnen entwickeln
Szenarien zur Energiesicherheit und
-nutzung und untersuchen die Hand-
lungsspielräume, die die Energie-
genossenschaften für nachhaltige
Lebensqualität bieten. Außerdem
wollen sie eine Typologie der Akteure
entwerfen und eine Bestandsaufnah-
me der Energiegenossenschaften in
Deutschland vornehmen. Schließlich
gilt es, konkrete Handlungsempfeh-
lungen zu erarbeiten, zu kommu-
nizieren und zu beraten – um vor
Ort die Akzeptanz für regenerative
Energieprojekte zu erhöhen. (mr)
Energiewende von unten
BMBF-Projekt zu Energiegenossenschaften
Auseinandersetzung um das Netz ist,
ist bundesweit der Streit um die Markt-
anteile auf dem Strommarkt. Wenn
Bürgergenossenschaften immer mehr
Windräder, Biogasanlagen und Solar-
zellen betreiben, machen sie den altein-
gesessenen Energieversorgern Kunden,
Umsatz und Gewinne streitig – und das
provoziert Gegenwehr.
Und so ist trotz aller Erfolge der Bürger-
energiegenossenschaften noch offen,
wie die Auseinandersetzung ausgehen
wird. Ob das Beispiel aus Schönau in
Berlin und auch in Oldenburg Schule
machen wird und ob bundesweit die
dezentrale Energiewende weiter erfolg-
reich sein kann oder ausgebremst wird,
wird in erster Linie davon abhängen,
wie viele Menschen aus dem ganzen
Bundesgebiet sich beteiligen – ob selbst
als Energie-Genossen oder schlicht als
Sympathisanten – und so den nötigen
politischen Druck ausüben.
Foto photocase/bilderfang
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