Presse & Kommunikation
EINBLICKE NR.22 | OKTOBER 1995 |
FORSCHUNGSMAGAZIN DER CARL VON OSSIETZKY UNIVERSITÄT OLDENBURG
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Inhalt
- Küsten im Klimawandel
- Parteienfinanzierung: Ein Gesetz entsteht
- Cocktailpartys und Hörgeräte: Wege zum besseren Hören
- "Paarungen"
- Robin Hood - Vom Wegelagerer zum Nationalhelden
- "O ewich is so lang" - Der Tod in der Frühen Neuzeit
- Nachrichten der Universitätsgesellschaft
- Notizen aus der Universität
- Promotionen und Habilitationen 1994
- Summaries
Küsten im Klimawandel
von Horst Sterr, Wolfgang Ebenhöh und Frank SimmeringDie Gefährdung der Küstenzonen wird im 21. Jahrhundert durch einen beschleunigten Meeresspiegelanstieg und die Zunahme von Sturmfluten als Folge des Klimawandels drastisch wachsen. Das Forschungsprogramm "Klimaveränderung und Küste", das von uns geplant und koordinert wird, setzt sich mit den Auswirkungen dieser Entwicklung auf die Küstengewässer, die Biosphäre, die Küstenbewohner und deren Aktivitäten an der deutschen Nord- und Ostseeküste auseinander. Ziel ist, die Reaktion des natürlichen und gesellschaftlichen Systems auf die zu erwartenden Umweltveränderungen zu verstehen und adäquate Handlungskonzepte zu entwerfen. Damit übernimmt dieses Vorhaben Pilotfunktion in der neubegründeten, interdisziplinären Klimafolgenforschung.
Hat die Zukunft nicht schon begonnen ? Sind wir mit Robert Jungk versucht zu fragen, wenn wir uns an die eindringlichen Ankündigungen und Warnungen der Klimaforscher aus aller Welt vor Treibhauseffekt und Ozonloch erinnern. Immer häufiger verbreiten die Medien Berichte über wissenschaftliche Studien, die erläutern, wie das globale Klimasystem auf die zunehmende Freisetzung von Treibhausgasen und Schadstoffen durch den Menschen nach physikalischem Ermessen reagieren wird - oder dies bereits jetzt schon tut. Der Einzelne, die Öffentlichkeit ist also gegenüber diesem Thema bereits weitgehend sensibilisiert, und auch die Politiker sind, so scheint es zumindest auf den ersten Blick, hinreichend alarmiert. Das könnte man aus den in den letzten Jahren abgehaltenen Konferenzen auf höchster politischer Ebene wenigstens vermuten. In Rio de Janeiro wurde 1992 auf der UN-Konferenz Umwelt & Entwicklung eine Klimarahmenkonvention beschlossen. Seit März 1994 ist dieses UN-Rahmenübereinkommen zum Schutz des Klimas völkerrechtlich verbindlich. Trotzdem kam es auf der Berliner Vertragsstaatenkonferenz vom 28.3. bis 7.4.1995 nicht zu den von vielen geforderten verbindlichen Beschlüssen, die nach Ansicht der Wissenschaftler für einen raschen und wirksamen Klimaschutz unverzüglich umgesetzt werden müßten. Setzt sich die von vielen Experten bereits als deutlicher Trend eines anthropogenen, d.h. vom Menschen verursachten, Klimawandels gedeutete Entwicklung weiter fort, werden vor allem die Küstenzonen der Erde besonders davon betroffen sein.
Klimaumschwung wie bei der letzten Eiszeit
Als Klima bezeichnet man die längerfristige Zusammenfassung von Temperatur-, Wind- und Niederschlagsverhältnissen, d.h. Wetterereignissen, an einem Ort. In der Ausprägung der atmosphärischen Zustände spielen aber auch eine Vielzahl physikalischer, chemischer und biologischer Prozesse auf dem Festland und in den Ozeanen, wie z.B. Verwitterung, Photosynthese oder Wärmetransport durch Meereströmungen, eine entscheidende Rolle. Wegen der Unmenge von möglichen Wechselwirkungen und Rückkopplungen im System Boden - Wasser - Luft ist ein exaktes Verständnis des Klimas äußerst schwierig. Um die Effekte, die durch Änderungen eines der Antriebsparameter (etwa der Durchmischung der oberen Wasserschichten in den Ozeanen) hervorgerufen werden können, im Computermodell über 50 bis 100 Jahre zu simulieren, benötigen die leistungsfähigsten Computer der Welt mehrere Monate. Die Aussagen der Klimaexperten hinsichtlich künftiger Klimaänderungen sind daher bislang noch zurückhaltend, einerseits weil das Klimasystem so vielfältige Reaktionsmöglichkeiten in sich birgt, vor allem aber weil größte Unsicherheit darüber besteht, welche Maßnahmen zum globalen Klimaschutz in der Welt in absehbarer Zeit ergriffen oder unterlassen werden. Vorallem wegen der vom Menschen, d.h. von der Politik, selbst verursachten Unwägbarkeiten wollen die Klimatologen, die weltweit an diesem Problem arbeiten, ihre Aussagen eher als Szenarien denn als gesicherte Prognosen verstanden wissen.Das 1988 von der UN eingerichtete Expertengremium Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) hat in mehreren Berichten die wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, wie sich - je nach Entwicklung der Treibhausgas-Emissionen - das Klima bis zum Jahr 2100 verändern wird, dokumentiert. Der Entwurf des zweiten Gesamtberichts, der bis Ende 1995 der UN vorliegen soll, zeichnet dabei folgendes Bild: nach dem "business-as-usual-Szenario", d.h. unverminderte Zunahme der Spurengase Kohlendioxid, Methan, Distickoxid, Ozon, Halokarbone u.a. in den nächsten Jahrzehnten, wird die Durchschnittstemperatur der Erde im Mittel um ca. 2,5°- 3° C ansteigen. Das Tempo dieser Erwärmung, die in den höheren Breiten deutlicher ausgeprägt sein wird als in den Tropen, übertrifft bei weitem alle natürlichen Klimaschwankungen der letzten 10.000 Jahre (Holozän). Ihr Ausmaß ist nahezu von der gleichen Größenordnung wie der Klimaumschwung am Ende der letzten Eiszeit, der ca. 4°C betrug. Mit der Temperaturzunahme wären überdies höhere bzw. intensivere Niederschläge und eine Zunahme bei Häufigkeit und Stärke von Stürmen verknüpft. In den Küstenregionen muß dazu als Folge dieser Klimatrends mit einem mittleren Meeresspiegelanstieg von mindestens 50 cm/Jh. (bisher 20 cm/Jh.) und einer Erhöhung der Extremwasserstände bei Sturmfluten gerechnet werden.
Weil die Küstenzonen - global betrachtet - die am dichtesten besiedelten und am intensivsten genutzten Gebiete der Welt sind (Städte, Schiffahrt, Fischerei, Aquakultur, Tourismus, Industrie etc.) und neben den Tropenwäldern die produktivsten Ökosysteme beherbergen, drohen den Küsten demnach auch im 21. Jahrhundert die größten Ri-siken durch den skizzierten Klimawandel. Dies gilt auch dann, wenn weniger gravierende Szenarien, wie von IPCC vergleichsweise durchgerechnet, zugrunde gelegt werden.
Klimafolgenforschung für den Küstenraum
Mit der Einsicht, daß der Mensch das globale Klimageschehen, und damit seine gesamte Umwelt, tiefgreifend verändert (hat), wuchs auch die Notwendigkeit, sich mit den Auswirkungen des Klimawandels intensiver auseinanderzusetzen. Auf maßgebliche Veranlassung durch IPCC entstand so zu Beginn der 90er Jahre eine neue Forschungsrichtung, die sogenannte Klimafolgenforschung.In Deutschland wurde in einem ersten Schritt durch gemeinsame Initiative der fünf Küstenländer und des Bundesforschungsministeriums 1991 ein Forschungsprogramm "Klimaänderung und Küste" unter der wissenschaftlichen Leitung des Instituts für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) der Universität Oldenburg ins Leben gerufen. 1992 wurde dann das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) gegründet, dessen Leitung Prof. Dr. Hans-Joachim Schellnhuber (damals Direktor des ICBM) 1993 übernahm.
Der deutsche Küstenraum ist, wie auch der Wissenschaftsrat in einer Stellungnahme unterstrich, als Schwerpunkt für regionale Klimafolgenforschung besonders geeignet. Nord- und Ostseeküsten reagieren nicht nur auf klimatisch bedingte Effekte besonders empfindlich, sie sind auch durch andere Eingriffe, z.B. Nähr- und Schadstoffeinträge, Grundwassernutzung, künstliche Vertiefung der Flußmündungen etc., bereits stark in ihrem Systemgefüge verändert. Eine vorhersehbare Gefährdung des küstennahen Lebensraums bezieht sich also nicht nur auf dessen Anfälligkeit gegenüber Sturmfluten oder anderen klimaabhängigen Naturkatastrophen, sondern sie schließt eine absehbare Verschärfung bereits bestehender Nutzungskonflikte (z.B. zwischen Landwirtschaft, Naturschutz, Küstenschutz und Tourismus) ebenso ein wie die Wahrscheinlichkeit tiefgreifender Veränderungen in den marinen und litoralen Ökosystemen.
Im März 1994 strahlte das ZDF unter dem Titel "Crash 2030" eine Vision der Folgen des Klimawandels aus, wie wir sie in 35 Jahren in Deutschland erleben könnten. Für den Küstenraum wurden in dem Film Szenarien vom Untergang einiger Nordseeinseln und großer Teile der unbedeichten Niederungsgebiete Mecklenburg-Vorpommerns gezeichnet. Die derzeit akzeptierten Vorstellungen der Wissenschaftler gehen zwar nicht ganz so weit; sie können die in dem Film gezeigten Simulationen von weiträumigen Küstenüberflutungen aber auch nicht für völlig abwegig halten - wenigstens nicht dort, wo bislang keine ausreichenden Schutzmaßnahmen getroffen wurden.
In Anlehnung an die von IPCC vorgelegten Einschätzungen, die allerdings eine regionale Konkretisierung der Klimaausprägungen für Norddeutschland noch nicht zulassen, gelten derzeit nachstehende Annahmen als plausibel. Sie liegen, während an der sog. Klima-Regionalisierung weiter gearbeitet wird, als vorläufige Szenarien auch dem Forschungsprogramm "Klimaänderung und Küste" zugrunde:
- die Luft- und Wassertemperaturen nehmen um 2°- 3° C zu.
- im Winterhalbjahr ist die Erwärmung stärker ausgeprägt als im Sommer.
- der Meeresspiegelanstieg ist in der Nordsee und südlichen Ostsee wegen der Flachheit der Meeresbecken überdurchschnittlich hoch und beträgt bis 2100 mindestens 50-60 cm, d.h. eine Verdreifachung des bisherigen Werts.
- Sturmwind-Wetterlagen nehmen an Stärke und Häufigkeit deutlich zu.
- die bisherigen Extremwasserstände bei Sturmfluten (= Bemessungswasserstände für Deiche) werden immer öfter erreicht bzw.überschritten.
- verstärkter Seegang führt zur beschleunigten Sedimentumlagerung und Erosion im Uferbereich.
- durch veränderte Niederschlagsverhältnisse bzw. Wasseraustausch zwischen Nord- und Ostsee ist die Salinität (Salzgehalt) der Küstengewässer stärkeren Schwankungen als bisher unterworfen.
Obschon durch die Modellrechnungen der Klimatologen gestützt, sind diese angenommenen Entwicklungen vorerst nicht beweisbar. Da Klimafolgenforschung aber danach trachtet, die Flexibilität des Natur- und Gesellschaftssystems gegenüber externen Antriebskräften zu erfassen und, soweit möglich, zu erhöhen, werden auch alternative Szenarien in die Analyse einbezogen. Ein solches wäre etwa die drastische Abnahme der Temperaturen im deutschen Küstenraum, ausgelöst durch eine Umlenkung des Golfstroms in den westlichen Nordatlantik - eine Situation, die von namhaften Ozeanographen durchaus in Betracht gezogen wird.
Betroffenheit des Küstenraums und seiner Bewohner
Das Forschungsprogramm "Klimaänderung und Küste" befaßt sich im wesentlichen mit der Frage, mit welchen Auswirkungen Organismen, Ökosysteme und Küstenbewohner zu rechnen haben, wenn einige bzw. alle der als plausibel eingeschätzten Szenarien Realität werden und welche Möglichkeiten der Anpassung denkbar sind. Dabei bestehen zwischen den Teilsystemen des Küstenraums vielfältige Verflechtungen und Wechselwirkungen, die eine gesamtsystemare Betrachtung erforderlich, gleichzeitig aber auch sehr schwierig machen. Die Komplexität der vom Klimawandel ausgelösten Wirkungsmechanismen lassen sich an einigen Beispielen exemplarisch verdeutlichen.Beispiel Wattenmeer: Im Laufe seiner ca. 5000jährigen Entstehungsgeschichte ist das Watt durch sukzessive Ablagerung mariner Sedimente allmählich in vertikaler und horizontaler Ausdehnung gewachsen. Künftig werden der beschleunigte Meeresspiegelanstieg, energiereicherer Seegang und häufigere Sturmfluten zu einer verstärkten Erosion des Watts, d.h. zur Verringerung und Erniedrigung der Wattflächen führen. Da diese landwärts von den Festlandsdeichen eingeengt sind, ist ein natürliches "Ausweichen" zur Marsch hin nicht mehr möglich. Durch den zunehmenden Erosions- und Überflutungsdruck von See kommt es zu einem fortschreitenden Verlust der Salzwiesen und Deichvorländer und damit zum Verschwinden der speziellen Lebensräume vieler charakteristischer Tier- und Pflanzenarten. In ähnlicher Weise beeinträchtigt die Verkleinerung des Watts die biologische Tragfähigkeit dieses wichtigsten Küstenökosystems, z.B. als Aufwuchsraum für Fische und Muscheln oder als Rastgebiet für durchziehende Küstenvögel. Die Verluste von Watt- und Salzwiesenflächen sind umso schwerwiegender einzuschätzen, wenn man deren mechanische Funktion als "Wellenbrecher" bei Sturmfluten oder ihre biochemische Reinigungsfunktion (Aufnahme von Nähr- und Schadstoffen) berücksichtigt.
Beispiel Küstenschutz: Die derzeitigen Sollhöhen der Küstenschutzanlagen sind an der Nordseeküste an den Wasserständen der Sturmflut von 1962 bemessen, die zwischen 4 und 6 m über NN auflief. Die vermeintliche langfristige Absicherung ist schon 30 Jahre später jedoch nicht mehr gewährleistet, wie die Extremwasserstände und Deichbeschädigungen seit 1975 gezeigt haben: die Orkanfluten von 1976, 1981, 1990 und 1992 haben an verschiedenen Abschnitten der Deutschen Bucht bereits neue Höchstmarken gesetzt, und dieser Trend wird sich weiter fortsetzen. Vor allem die Ästuare von Ems, Weser und Elbe und deren Deiche und Häfen sind durch die zunehmende Häufung von Extremwasserständen gefährdet, weil hier die künstliche Vertiefung der Schiffahrtsrinnen den Tidenhub drastisch erhöht hat (bei Bremen z.B. von 0,2 auf 4,1 m). Um eine sog. 100jährige Deichsicherheit bei einem Meeresspiegelanstiegsszenario von 50 cm zu erreichen (eine errechnete Größe aus Tidewasserstand plus Wind- und Wellenauflaufeffekt während einer Sturmflut), müssen sowohl in Niedersachsen als auch in Schleswig-Holstein jeweils ca. eine Mrd. DM für Küstenschutzmaßnahmen aufgewendet werden. Für die Stadt Hamburg wäre ein umfassender und effizienter Schutz gegen künftige Sturmfluten vermutlich nur mit dem Bau eines Elbe-Sperrwerkes (geschätzte Kosten 1,5 - 2 Mrd. DM) zu erreichen. Allein für den Schutz der Westküste der Insel Sylt gegen die beschleunigte Erosion wurden seit 1972 ca. 180 Mio. DM für Sandvorspülungen aufgewendet, wobei eine markante Steigerung der erforderlichen Aufwendungen über die letzten acht Jahre (ca. 20 Mio. DM/Jahr) augenfällig ist. Mit einer weiteren starken Zunahme dieses Trends ist im Licht der o.g. Szenarien zu rechnen. Entlang der Ostseeküste wurden nach dem Jahrhunderthochwasser von 1872 nur selektiv Bedeichungen tiefgelegener Gebiete vorgenommen. Bei einem Sturmhochwasser der gleichen Größenordnung würden daher weite Areale dieser Küstenlandschaft einschließlich vieler Küstenorte überflutet.
Beispiel ökonomische Risiken: Die Gefahren durch Deichbrüche und Überflutungen an Nord- und Ostsee und die damit einhergehenden materiellen Risiken bzw. Verluste sind als Folge des Klimawandels in den kommenden Jahrzehnten naheliegend. Aus den Szenarien lassen sich aber noch weitere gravierende wirtschaftliche Risiken ableiten. So könnte die zunehmende Sturmaktivität die Handels- und Sportschiffahrt sowie den Fährverkehr in den Küstengewässern mehr und mehr beeinträchtigen. Beispiele dafür sind die Zerstörung zahlreicher Segeljachten in der Kieler Bucht durch Orkanböen im August 1989 oder der Untergang einer polnischen Fähre vor Rügen im Februar 1993. Die bei einer Erhöhung der Wassertemperaturen beschleunigte Vermehrung von Algen oder auch die Einwanderung fremder (giftiger) Arten könnten beträchtliche Einbußen bei Fischerei und auch Fremdenverkehr zur Folge haben. Und für die Versicherungswirtschaft sind diese Negativprognosen bereits in erheblichem Maß Wirklichkeit geworden: ein "worst-case-Szenario" der Provinzialversicherung Kiel gibt für einen extremen Wintersturm den zu erwartenden Versicherungsschaden allein für Schleswig-Holstein mit mehr als 1 Mrd. DM an. Der gesamte volkswirtschaftliche Schaden wird auf das Doppelte geschätzt. Wegen der durch eine Häufung klimabedingter Schadensfälle (Hurrikans, Hochwässer, Waldbrände etc.) in den letzten Jahren erlittenen immensen Verluste macht sich diese Wirtschaftsbranche inzwischen weltweit für den Klimaschutz stark.
In einem Pilotvorhaben an der Universität Oldenburg werden derzeit die Gefährdungs- und volkswirtschaftlichen Schadenspotentiale an Nord- und Ostseeküste durch einen (angenommenen) Meeresspiegelanstieg von 1 m erfaßt, wie dies auf Veranlassung von IPCC schon für ca. 30 andere Küstengebiete erfolgt ist. Wird der heutige Stand des Küstenschutzes bei diesem Szenario vorausgesetzt, belaufen sich die geschätzten materiellen Schäden an Gebäuden, Freizeit- und Hafenanlagen, landwirtschaftlichen Flächen etc. auf 20-50 Mrd. DM (der Gesamtwert der maximal betroffenen Sachwerte liegt bei 800 Mrd. DM). Trotz dieser beeindruckenden Summe gehört Deutschland damit weltweit zu den relativ geringfügig betroffenen Küstennationen, wenn die kalkulierte Schadenssumme in %-Anteilen des Bruttoinlandsprodukts gemessen wird (< 0,05 %). Für Länder wie z.B. Bangladesh , Ägypten oder die Marshall Inseln werden die Verluste mit 10-50 % des BIP angesetzt.
Derzeitige Forschungsschwerpunkte
Die drei genannten Beispielbereiche machen deutlich, daß sich das Forschungsprogramm "Klimaänderungen und Küste" mit einem sehr breiten Spektrum von küstenspezifischen "Klimaimpakts" und zukünftigen Entwicklungen im Natur- und Gesellschaftssystem auseinderzusetzen hat. Dabei geht es nicht nur darum, die möglichen negativen Folgen zu analysieren und zu beschreiben, zumal noch gar nicht klar ist, ob nicht in manchen Bereichen, etwa beim Küstentourismus, vielleicht die positiven Effekte des Klimawandels überwiegen. Eine weitere wichtige Aufgabenstellung besteht auch darin, die sozialen Wahrnehmungsprozesse zum Klimakomplex zu bewerten, also z.B.: Wie wird das Thema Klimawandel in den Medien dargestellt und welche Position nehmen einzelne Interessensgruppen oder Wirtschaftsbranchen zu der Thematik ein? Letztendliches Ziel der Forschungsbemühungen des Programms ist es, den Entscheidungsträgern in Politik, Behörden und Wirtschaft wissenschaftliche Grundlagen für adäquate Handlungs- und Reaktionsstrategien im Küstenraum (= Coastal Zone Management) zu liefern.Die komplexen Fragestellungen im Bund-Länder-Vorhaben "Klimaänderungen und Küste", das auf mindestens zehn Jahre angelegt ist, erfordern ein hohes Maß an interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Klimatologen, Geowissenschaftlern, Biologen, Ingenieuren, Soziologen, Ökonomen u.a., d.h. daß der Integration des Forschungsprozesses aus den einzelnen Teilbereichen zu einer übergreifenden Synthese der Ergebnisse eine herausragende Bedeutung zukommt. Aus diesem Grund hat ein Expertengremium ein integratives Forschungskonzept entwickelt, das sich maßgeblich auf neue methodische Ansätze stützt: die Modellierung hydrographischer, morphologischer und biologischer Prozesse; die Verknüpfung natur- und sozialwissenschaftlicher Modelle, die gesamtsystemare und planungsorientierte Analyse ausgewählter Beispielräume (z.B. Fallstudien Weserästuar und Insel Sylt) sowie die Erfassung, Darstellung und Bewertung resultierender Gefährdungen bzw. Konflikte über ein Geographisches Informationssystem. Ein erster Versuch, diesen Konzept- und Methodenansatz quasi "im Real-Labor" zu testen, war das Verbundprojekt "Nordsommer 1992", das gemeinsam vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und der Universität Oldenburg durchgeführt wurde. Mit Beteiligung von neun weiteren Forschungseinrichtungen wurden die ökonomischen, ökologischen und sozialen Folgen der extrem warm-trockenen Wetterlage über Norddeutschland im Sommer 1992 umfassend analysiert. Die Studie gibt erste wichtige Einblicke, wie Naturhaushalt und Menschen auf einzelne Phänomene eines möglichen Klimawandels reagieren (würden). Viele weitere dieser Art müssen noch folgen.