Presse & Kommunikation
EINBLICKE NR.22 | OKTOBER 1995 |
FORSCHUNGSMAGAZIN DER CARL VON OSSIETZKY UNIVERSITÄT OLDENBURG
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Inhalt
- Küsten im Klimawandel
- Parteienfinanzierung: Ein Gesetz entsteht
- Cocktailpartys und Hörgeräte: Wege zum besseren Hören
- "Paarungen"
- Robin Hood - Vom Wegelagerer zum Nationalhelden
- "O ewich is so lang" - Der Tod in der Frühen Neuzeit
- Nachrichten der Universitätsgesellschaft
- Notizen aus der Universität
- Promotionen und Habilitationen 1994
- Summaries
"Paarungen"
von Dirk Grathoff
Es gibt doch zu sonderbaren Gedanken Anlaß, einen Mann bei seiner Frau zu sehen. Sie werden ausgemessen, und allerlei dabei bedacht, was man nicht denkt, wenn man jedes allein sieht.
Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher H 13
Dieser Aphorismus von Lichtenberg hat Anstoß gegeben zu Klaus Beilsteins Serie "Paare", derenerstes 1976 entstanden ist, die weiteren seit den späten 80er Jahren in immer rascherer Folge. 1991wurde erstmals eine Auswahl aus der Serie öffentlich vorgestellt (Klaus Beilstein: "Schwarzbunt undKugelrund". Arbeiten auf Papier. Oldenburg 1991, S. 21-32). Wer Klaus Beilsteins Einzelporträtsund -figuren kennt ("Gesichter und Profile einer Stadt". Oldenburg 1995 - ebenfalls mit einemLichtenberg-Motto eröffnet), mag ermessen können, wie Lichtenbergs Bemerkung zurvergleichenden und konstrastiven Paare-Setzung angeregt hat, weil dabei eben etwas gedacht wird,"was man nicht denkt, wenn man jedes allein sieht".
Wie so oft, ist Lichtenbergs vermeintlicher Aphorismus in seinen Sudelbüchern doch nur Teil einerlängeren Aufzeichnung, deren Gesamtzusammenhang erhellen mag, was denn bei den Doppelporträtsder "Paare" über die Einzelporträts hinausgeht. Im Heft H der "Sudelbücher" lautet der Eintrag 134:"In Genua darf sich kein Mann bei seiner Frau auf der Straße oder sonst öffentlich blicken lassen; derCicisbeat hat da die größte Höhe erreicht, und ein Mann, der nicht darauf achten wollte, würdeverspottet werden und sich den größten Insulten des Pöbels aussetzen. Man tadelt diesen Gebrauchvielleicht mit Recht, aber es ist doch etwas in dem Gefühl, was ihn entschuldigt. Es gibt doch zusonderbaren Gedanken Anlaß, einen Mann bei seiner Frau zu sehen. Sie werden ausgemessen, undallerlei dabei gedacht, was man nicht denkt, wenn man jedes allein sieht. Einen Erzbischof vonCanterbury mit seiner Frau einher gehen zu sehen, würde wenigstens das bischöfliche Ansehen nichtfester gründen, das ist gewiß. In jedem menschlichen, von einem ganzen Staat gebilligten Gebrauch,liegt immer etwas zum Grunde, was sich, wo nicht rechtfertigen, doch entschuldigen läßt."
Nach jenem Genueser Brauch reizt der Anblick eines Ehepaares zum Spott, ja zu den "größtenInsulten des Pöbels", während der italienische Cicisbeo als der institutionalisierte Hausfreund sich inder Öffentlichkeit mit seiner Dame blicken lassen darf. Geduldet wird das eine Institut, das demanderen Hohn spottet. Und daß ein Anblick - wie beim Erzbischof von Canterbury - nicht unbedingtdem Ansehen förderlich sein muß, ist Beilsteins Paaren allemal abzulesen. In einem früheren Eintragder "Sudelbücher" hat Lichtenberg mitgeteilt, wie er sich den Cicisbeo vorstellt, und der kommtBeilsteins Herrenfiguren schon bedenklich nahe: ". . . so entsteht der Stutzer, es mag nun dieses ineinem zu sorgfältigen Beschmieren mit Kuhmist oder mit Schminke, in einer allzu geflissentlichenAnordnung in der Weste von Seehundsfellen oder von Brocade, in der Uniform oder dem Chorrockbestehen." (Sudelbücher B 180).
Das Paar als Institution ist Beilsteins Thema. Über das Paar als Institution hatte ebenso Lichtenbergnachgedacht, über Ansicht und Ansehen von wie auch immer institutionalisierten Paaren in derÖffentlichkeit. Dorthin treibt Beilsteins spitze Feder sie. Streng gegliedert ist der Bildaufbau stets: dieDame immer links, der Herr immer rechts, anfänglich noch durch einen Mittelstrich voneinandergetrennt. Mal mit Orden behängt, mal mit Schmuck und Tand, vielfältig sind die verschiedenstenMaterialcollagen mit Stoffen, die manchmal an Lichtenbergs "Brocade" erinnern, dann wieder einemNeckermann-Katalog entsprungen sind. Lächerlich sind sie allemal, zwar nicht ganz den "Insulten desPöbels" ausgesetzt, doch der Spott ist unübersehbar. Es scheint der Witz und die Verlach-traditon zusein, die Beilstein mit Lichtenbergs Aufklärung verbindet.
Schon das berühmte Paar-Bildnis der klassischen Moderne, die zur Postmoderne sich wandelte, das"American Gothic" von Grant Wood aus dem Jahr 1930, lebte vom Zitat, das dort im gotischenFenster zwischen den eierförmig langgezogenen Gesichtern des Farmerpaares aus demamerikanischen Mittelwesten installiert ist. Man kennt es ja, daß Paarespartner im Laufe der Zeiteinander immer ähnlicher werden - oder aber ihren Hunden. Grant Wood läßt solche Ähnlichkeit imHabitus und Aussehen mit subtiler Ironie komisch werden. Klaus Beilstein hat es demgegenüber eherauf die Gegensätzlichkeiten und Kontraste, auf das nicht zueinander Passende abgesehen, wenngleichsein Werder Bremen-Paar in seiner Zitatüberfülle auf einer ganz anderen Ebene doch an GrantWoods Paar zu erinnern vermag. Beilsteins Paare sind oft auch voneinander abgewandt, stehenRücken an Rücken, bewegen sich in entgegensetzte Richtungen. Was Wunder, daß ihn der Kontrastvon Balzac zur schönen Eveline Hanska gereizt hat, die Balzac in seiner "Seraphita" zu einem Engelder Diät mit dem Befehl "ne mange pas tant!" ("Iß nicht soviel!") werden ließ, was auch schon dieZeitgenossen zu spöttischen Karikaturen herausgefordert hatte. Die Grundstruktur der Karikatur,auch in den "realistischen" Porträts von Beilstein angelegt, feiert in seinen Paaren fröhliche Urstände.
Als Ironiker ist Beilstein schon in seinen Selbstporträts hervorgetreten, hat dort die Fähigkeit zurkomischen Verdoppelung seines Selbst gezeigt, die Paul de Man als Basis jeder Ironie markierte, indem er einen Gedanken von Baudelaire zitierte: "Der Mensch, der stürzt, lacht niemals über seineneigenen Sturz, er wäre denn ein Philosoph, einer, der sich durch Gewöhnung die Fähigkeit erworbenhätte, sich alsbald zu verdoppeln und den Phänomenen seines Selbst als interesseloser Betrachterbeizuwohnen." (de Man, "Die Rhetorik der Zeitlichkeit") Ein interesseloser Betrachter ist Beilsteingewiß nicht, diese Brücke zur klassischen Ästhetik läßt sich keineswegs schlagen, wohl aber die zuraufklärerischen Fähigkeit, über die anderen wie über sich selbst zu lachen. Aufspaltungen sindGrundvoraussetzungen von Ironien, in Beilsteins Paaren oft durch das verfremdende Herbeizitierenvon Materialcollagen erreicht. Man denke nur an die beiden Handschuhe aus dem Jahr 1990, wo ausdem Lederstück noch verschmitzt ein rotes Stoffzipfelchen lugt. Die "Seehundsfelle" und "Brocaden"von Lichtenbergs Cicisbeo dürfte Beilstein erst durch unsere Gemeinschaftsarbeit kennengelernthaben, so wie ich auch erst bei der Suche durch seinen geistigen Ahnherrn Lichtenberg auf siegestoßen bin. Mit seiner ironisch-komischen Doppelporträtkunst der "Paare" repräsentiert Beilsteinwieder ein Stück jener markanten Oldenburger Kulturtradition, die zu Recht ihre Wurzeln im Witzund in der Kritik der deutschen Aufklärung sucht. Der Rückgriff auf Lichtenberg ist geglückt.
Künstler und Autor
Klaus Beilstein (56) ist seit 1976 Leiter der künstlerischen Werkstätten der Universität Oldenburg.Seine Bilder sind in zahlreichen Städten ausgestellt worden, u.a. Berlin, Frankfurt, Hamburg, Bremen,Cholet/Frankreich, Taastrup/Dänemark, Alma Ata/Kasachstan und Krakau/Polen. Die Ausstellung"Paare" wurde im Sommer 1995 in Wilhelmshaven gezeigt. - Prof. Dr. Dirk Grathoff (48) wurde1985 auf die Professur für neuere Literaturgeschichte an der Universität Oldenburg berufen. SeineForschungsschwerpunkte sind u.a. Literatur der Goethezeit und Literatur- und Filmgeschichte des 20.Jahrhunderts.