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Chemie und Agenda 21

Chemie-Konzepte für den zweiten Welt-Gipfel zur nachhaltigen Entwicklung

Was kann die Chemie zu einer nachhaltigen Entwicklung, also zur Umsetzung der Rio-Deklaration der Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro im Juni 1992 und der Agenda 21, dem von mehr als 170 Staaten verabschiedeten Arbeitsprogramm für das 21. Jahrhundert, beitragen? Welche Konzepte müssen dazu entwickelt werden? Dieser Frage sind in Vorbereitung der Rio + 10 Konferenz, die vom 26. August bis 4. September in Johannesburg stattfinden wird, die Chemiker Prof. Dr. Jürgen Metzger und Dr. Marco Eissen, der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Uwe Schneidewind und der Politologe Prof. Dr. Eberhardt Schmidt in einem Beitrag in der international sehr renommierten Fachzeitschrift "Angewandten Chemie" nachgegangen. Die Autoren untersuchen in dem Aufsatz Möglichkeiten der chemischen Forschung und Industrie für eine nachhaltige Entwicklung.

Der zweite Welt-Gipfel zur nachhaltigen Entwicklung findet dieses Jahr in Johannesburg statt. Im Zentrum stehen die Erhaltung und Bewirtschaftung der Ressourcen. Einen wesentlichen Beitrag dazu müssen die Wissenschaften leisten, wobei es der Zusammenführung natur-, wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse bedarf, um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen.

"Die Menschen stehen im Mittelpunkt der Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung. Sie haben das Recht auf ein gesundes und produktives Leben im Einklang mit der Natur." So lautet der erste Grundsatz der Rio-Deklaration. Die Weltbevölkerung wird von gegenwärtig sechs Milliarden - davon 1.2 Milliarden in den industrialisierten Ländern - auf neun Milliarden im Jahr 2050 steigen. Das Wachstum wird nahezu ausschließlich in den heutigen Entwicklungsländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas stattfinden, so dass das Verhältnis der Bevölkerung der Entwicklungsländer und Industrieländer von heute 4:1 auf 7:1 steigen wird. Der Lebensstandard in den Entwicklungsländern muss, wenn es nicht zu verheerenden Auseinandersetzungen kommen soll, wachsen und sich immer mehr dem der Industrieländer anpassen.

Neben dem Bedarf an Nahrungsmitteln wird auch der an sonstigen Gütern gewaltig ansteigen. Er wird sich mehr als verdoppeln und bei einer zunehmenden Angleichung des Lebensstandards bald um den Faktor vier und mehr anwachsen. Ressourcen müssen sehr viel effizienter als heute genutzt werden, d.h. mit der gleichen oder sogar einer geringeren Quantität an Ressourcen muss ein Vielfaches an Gütern produziert werden. Dabei wird eine Senkung um den Faktor vier nicht genügen, da die vorhandenen fossilen Ressourcen immer schwerer zugänglich sein werden. So ist davon auszugehen, dass die Erdölproduktion noch in diesem Jahrzehnt, spätestens aber 2015-2020 ihr Maximum überschritten haben und dann langsam abfallen wird. Die Grundsätze der Konferenz von Rio sind in der Agenda 21 konkretisiert. Darin "werden die dringlichsten Fragen von heute angesprochen, während gleichzeitig versucht wird, die Welt auf die Herausforderungen des nächsten Jahrhunderts vorzubereiten". Im Zentrum stehen die "Erhaltung und Bewirtschaftung der Ressourcen für die Entwicklung". Die Wissenschaftler müssen ihre Forschungsthemen in Grundlagen- und Angewandter Forschung aus dem gewaltigen Katalog der ungelösten Probleme, die in der Agenda 21 benannt sind, entwickeln. Metzger sagte dazu, angesichts dieser gigantischen Herausforderungen für die Wissenschaften müsse die Stammzellenforschung als Luxusforschung der Industrieländer geradezu absurd erscheinen.

Die ressourcenschonende Produktion von Basischemikalien - Chemikalien, die weltweit mit jeweils mehr als 1 Million t/a hergestellt werden - ist aufgrund der großen produzierten Mengen und der darauf aufbauenden Produktlinien, z. B. Kunststoffe, für eine nachhaltige Entwicklung von besonderer Bedeutung. Dazu müssen effektivere Katalysatoren und Trennmethoden entwickelt werden. Im Jahr 2020 sollen bereits etwa 25 Prozent - gegenwärtig ca. 10 Prozent - aller organischen Chemikalien von der chemischen Industrie aus nachwachsenden Rohstoffen produziert werden. Dafür ist jetzt ganz dringend eine Intensivierung der Grundlagenforschung notwendig.

Die Agenda 21 geht von etwa 100.000 chemischen Substanzen aus, die weltweit von der chemischen Industrie in den Handel gebracht werden, wobei auf etwa 1.500 Stoffe 95 Prozent der gesamten Weltproduktion entfallen. Die Herausforderung für die Chemie besteht darin, die vielfältigen und unterschiedlichen Produkteigenschaften der Massenprodukte mit möglichst wenigen chemischen Grundstoffen zu realisieren, da bei wenigen Grundstoffen eine effektive Rückgewinnung in großem Maßstab möglich ist und damit auch ökonomisch Sinn macht.

Die zahlreichen Fein- und Spezialchemikalien, die benötigt würden, müssten den gewünschte Effekt mit deutlich geringeren Substanzmengen erreichen, erklären die Autoren. Sie müssten, wenn sie in die Umwelt gebracht werden, schnell mineralisiert werden. Außerdem sei eine umweltverträgliche Weiterverarbeitung der Produkte der chemischen Industrie erforderlich und schließlich würden Methoden und Kriterien benötigt zur Entscheidung darüber, was "nachhaltiger" ist.

Die Substitution nicht nachhaltiger durch nachhaltigere Prozesse und Produkte in der chemischen Industrie ist jedoch kein Selbstläufer. Die betrieblichen Voraussetzungen müssen gegeben sein. Umweltpolitische Maßnahmen müssen die Substitution fördern und nicht behindern, fordern die Autoren. Dies geschehe aber gegenwärtig durch die Chemikalienregulierung in Europa. Das jüngste Weißbuch der EU "Strategie für eine zukünftige Chemikalienpolitik" und das "Grünbuch zur Integrierten Produktpolitik", das umweltfreundlichen Produkten die Märkte öffnen soll, deute allerdings in die richtige Richtung.

 

 
Kontakt: Prof. Dr. Jürgen Metzger, Chemie, Tel.: 0441/798-3718, E-Mail: juergen.metzger@uni-oldenburg.de; Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Wirtschaftswissenschaften, Tel.:0441/798- 4181, E-Mail: uwe.schneidewind@uni-oldenburg.de; und Prof. Dr. Eberhardt Schmidt, Politikwissenschaft Tel.: 0441/798-2042, E-Mail: eberhard.schmidt@uni-oldenburg.de