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Die Rolle von Nachbarschaften für die Stadtquartiere

Auch engere Nachbarschaftsbeziehungen sind 'Schönwetter-Beziehungen' und nicht so leistungsfähig wie oft angenommen. Dennoch wird das soziale Beziehungsgeflecht im Wohnquartier von der Bevölkerung als ein wichtiges Element von Wohnqualität gewertet. Stadtplanung sollte daher die Bedingungen fördern, unter denen Nachbarschaft entstehen und sich entwickeln kann. Dies ist das Ergebnis einer Studie, die im Auftrag des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung vom Institut für Öffentliche Planung (Fachbereich 3 Sozialwissenschaften der Universität Oldenburg) und des universitären An-Instituts FORUM erstellt wurde. Autoren sind Dr. Ruth Rohr-Zaenker (Universität Oldenburg) und Wolfgang Müller (FORUM).

Die Ergebnisse zeigen, daß die Befürchtung, Individualisierung, Vereinzelung und hohe Mobilität führe zur Anonymität im Wohnumfeld, nur bedingt zutreffen. Vielmehr gehören Nachbarschaftskontakte, wenn auch eher locker, zum Alltag und werden geschätzt und gesucht. Enge nachbarschaftliche Beziehungen dagegen sind seltener. Die Intensität sozialer Beziehungen im Nahbereich unterscheiden sich nach Lebensphasen und Lebensstilen und sind entsprechend variabel im Lebensverlauf, so die Studie. Soziale Gruppen, die Nachbarschaft intensiv leben, tun dies aufgrund ihrer persönlichen Situation oder mangels Alternativen: Familien mit Kindern und alte Menschen pflegen häufig intensive Nachbarschaftsbeziehungen, in Gruppen dagegen, die durch Aktivitäten und soziale Beziehungen stark außenorientiert und mobil sind, gehen die Kontakte zu den Nachbarn kaum über einen freundlich-distanzierten Umgang unter Einschluß kleinerer Gefälligkeiten hinaus. Laut der Studie ist das gesamte Beziehungsgeflecht im Wohnquartier, also nicht nur das der engen Nachbarschaftsnetze, eine wichtige Grundlage für seine Stabilität. Auch lockere Beziehungen signalisieren Hilfepotentiale, tragen zu einem Gefühl der Sicherheit und Vertrautheit bei und fördern die Identifikation mit dem Wohngebiet.

Mit der Wohnungswahl entscheiden die meisten Menschen, in welchem Quartier und mit welcher Bewohnerschaft sie leben wollen. Für einige Gruppen mag eine Homogenität der Quartierbewohner die Voraussetzung für nachbarschaftliche Gemeinschaft sein, andere dagegen können ihr Leben nicht in Gebieten mit einheitlichem Verhaltenskodex und hoher sozialer Kontrolle führen. Sie brauchen Toleranz, Spielräume und Offenheit, wie sie nur in sehr hetero-genen Wohngebieten gegeben ist.

Die Mehrheit der Stadtbürgerinnen und Stadtbürger sucht aber in der Nachbarschaft weder Gemeinschaft noch anonyme Toleranz, sondern funktionale Beziehungen. Diese Mehrheit ist nicht an eine bestimmte soziale Struktur gebunden und könnte in gemischten Wohnquartieren leben. Allerdings wird durch die zunehmende sozialökonomische Polarisierung die Zahl städtischer Bewohner größer, die sich entweder in privilegierte homogene Gebiete absetzen oder die zwangsweise in Gebieten leben, die ihren Vorstellungen von Wohn- und Lebensqualität widersprechen.

Nachbarschaftsnetze können weder die primären Netzwerke von Familie und Verwandtschaft ersetzen, noch in größerem Maße zur Entlastung öffentlicher sozialer Leistungen beitragen. Trotz ihrer Nachrangigkeit im Netz der sozialen Beziehungen vermitteln nachbarschaftliche Kontakte aber dennoch Sicherheit und emotionalen Rückhalt. Nicht zuletzt erleichtern sie das Alltagsleben. Auch wenn sich soziale Beziehungen nicht planen lassen, sollte der Beitrag der Stadtplanung in der Schafftung einer kommunikationsfreundlichen Raumstruktur und einer kleinteiligen wohngebietsnahen Versorgungsstruktur liegen. Weiterhin nötig ist eine Vermittlung von Kontakten und nachbarschaftlichen Aktivitäten durch Gemeimwesenarbeit sowie eine Übertragung von Zuständigkeiten und Selbstbestimmungsrechten in das Wohnumfeld.

Erfahrungen aus den USA zeigen, welche Konsequenzen für städtische Gesellschaften entstehen, wenn Bedürfnisse nach Gemeinschaft den Siedlungsbau leiten. Kleine städtische Siedlungen mit einer homogenen Bewohnerschaft erfüllen zwar das Bedürfnis nach Sicherheit und sozialer Vertrautheit, unterstützen aber andererseits Grenzziehungen zwischen sich ausschließenden Gemeinschaften, die zu einer Ghettoisierung in der Stadt führen können. So wird in der Gegenüberstellung heterogener und homogener Quartiere deutlich, daß sich die Stabilität städtischer Quartiere eher über leistungsfähige Mischstrukturen sichern läßt.

Kontakt: Dr. Ruth Rohr-Zänker, Tel.: 0441/798-2073, E-Mail: zaenker@hrz1.uni-oldenburg.de, Internet: http://www.uni-oldenburg.de/fb3/oeffplan/rohr-zaenker/