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Kognitive Grundlagen des Rechtschreibens erforscht
Auf welchen psycholinguistischen Grundlagen beruht die Fähigkeit zum Rechtschreiben? Früher war man der Ansicht, daß der Erwerb und die Kenntnis orthographischer Regeln die unabdingbare Voraussetzung für die Rechtschreibfähigkeit sei. Die Forschungen der jüngeren Zeit lassen aber erkennen, daß ein inneres mentales System von orthographischen Regeln aufgebaut wird, das in Kombination mit wortspezifischen orthographischen Informationen die Basis des Schreibenkönnens bildet. In seiner Habilitationsschrift weist der Sprachwissenschaftler Dr. Günther Thomé (Fachbereich 11 Literatur- und Sprachwissenschaften der Universität Oldenburg) nach, daß es innere Regeln im Orthographieerwerb gibt und zeigt, wie diese konkret aussehen können. Dabei wird deutlich, daß sich die inneren Regeln teilweise erheblich von den expliziten Regeln, wie sie in Wörterbüchern und Rechtschreiblehrbüchern zu finden sind, unterscheiden.Empirische Grundlage seiner Untersuchung bildeten qualitative Analysen von über 20.000 Fehlschreibungen, die 160 Schüler in mehreren Texten aus echten und künstlichen Wörtern produziert hatten. Dazu mußte das gesamte Wortmaterial mit allen Fehlschreibungen elektronisch gespeichert werden, um mit einem eigens für diesen Zweck geschriebenen Programm für die Einzelanalysen aufbereitet werden zu können. Finanziert wurde das Projekt "Innere Regelbildung im Orthographieerwerb" unter der Leitung von Prof Dr. Wolfgang Eichler (Fachbereich 11 Literatur- und Sprachwissenschaften) von der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
In der anglo-amerikanischen Literatur waren vereinzelt Vermutungen über die Existenz unterschiedlicher Lernertypen geäußert worden, ohne daß empirische Untersuchungen einen überzeugenden Nachweis erbringen konnten. Mit speziellen Untersuchungsmethoden konnte Thomé nun erstmalig im deutschsprachigen Bereich zwei unterschiedliche Lernertypen im Orthographieerwerb nachweisen: einen „generalisierenden Lernertyp“ und einen lexikalischen Lernertyp. Der generalisierende Lernertyp bildet innere Regeln über orthographisch markierte Elemente und generalisiert diese Regeln erfolgreich oder fehlerhaft (Übergeneralisierungen). Der lexikalische Lernertyp bildet kaum innere Regeln oder wendet diese nicht zur Schreibung unbekannter Wörter an. Die korrekten Schreibungen kommen durch den Zugriff auf wort- oder lautspezifische Informationen im inneren orthographischen Lexikon zustande.
Diese neuen Einblicke in die mentale Organisation sprachlicher Kompetenz lassen erhebliche Konsequenzen für die Orthographiedidaktik und die kognitive Linguistik erwarten.
Kontakt: Privatdozent Dr. Günther Thomé, Germanistische Didaktik und Sprachwissenschaft, Fachbereich 11 Literatur- und Sprachwissenschaften, Tel.: 0441/798-2324