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Wenn Zugvögel auf „Nachtflug“ schalten
Forschergruppe um Dr. Henrik Mouritsen entdeckt ein Gehirnareal bei nachts fliegenden Singvögeln
Was hier als weißer Fleck im Gehirn einer Gartengrasmücke erscheint, ist der Bereich, der für das Nachtsehen zuständig ist („Cluster N“). |
Oldenburg. Zwei Mal pro Jahr machen sich Millionen von Zugvögeln auf den Weg in wärmere oder kältere Gefilde. Tausende von Kilometern legen sie zurück, und ihr Navigationssystem ist von einer faszinierenden Präzision. In der Dunkelheit weisen ein magnetischer Kompass und der Sternenhimmel den Zugvögeln den rechten Weg. Wie dieser Orientierungssinn im Einzelnen funktioniert, erforscht seit einigen Jahren die von der VolkswagenStiftung geförderte Nachwuchsgruppe um Dr. Henrik Mouritsen am Institut für Biologie und Umweltwissenschaften der Universität Oldenburg. Jetzt konnte das Forscherteam erstmals einen besonderen Gehirnbereich lokalisieren, der für das Nachtsehen bei nächtlich ziehenden Singvögeln zuständig ist. Diese als Cluster N bezeichnete Region wird aktiv, sobald die Vögel auf „Nachtflug“ schalten. Bei geschlossenen Augen bleibt das Gehirnareal abgeschaltet.
Kooperationspartner bei diesen Studien war die Gruppe um Professor Erich Jarvis, Duke University, USA. Die Ergebnisse erscheinen in Kürze in der Zeitschrift PNAS – Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States, in deren Online-Fassung sie ab heute abrufbar sind (www.pnas.org).
Erst im vergangenen Jahr hatte das Team von Mouritsen in Zusammenarbeit mit der Oldenburger Neurobiologiegruppe um Prof. Dr. Reto Weiler starke Hinweise darauf gefunden, dass die Zugvögel eine Art Magnetsensor, beziehungsweise Kompass im Kopf haben, der in der Netzhaut der Augen lokalisiert ist. Zuvor war es ihnen gelungen, Cryptochrom-Moleküle in der Netzhaut zu identifizieren, die den Vögeln ermöglichen könnten, das Magnetfeld zu „sehen“. Ihre Erkenntnisse über die Orientierung im Dunkeln mit Hilfe von Magnetsinn und Sternenhimmel führte sie zu der Hypothese, dass nächtliche Zugvögel ein spezialisiertes Nachtsicht-System besitzen müssen.
Um diese Annahme zu prüfen, haben die Wissenschaftler die Genaktivitäten im Gehirn von nachtziehenden Singvögeln und nichtwandernden Singvögeln verglichen. Für die Versuche wählten sie zwei entfernt verwandte Arten nachtwandernder Zugvögel aus – Rotkehlchen und Gartengrasmücken – und entsprechend zwei Arten von Nicht-Zugvögeln – Zebrafinken und Kanarienvögel. Die Tiere wurden im Zeitraum des normalen Vogelflugs (August bis Oktober und April bis Mai) in durchsichtige Käfige gesetzt, wo die Forscher ihr Verhalten genau beobachten konnten. Die Wissenschaftler simulierten den Tag-Nacht-Zyklus und sorgten dafür, dass die Vögel ansonsten nicht gestört wurden. Zu bestimmten Zeitpunkten am Tag oder in der Nacht wurden dann Genaktivitätsstudien an den Gehirnen der Tiere vorgenommen. Gemessen wurde die Aktivität von zwei verschiedenen Genen, die angeschaltet werden, sobald Nervenzellen durch Reize stimuliert werden. Die Aktivität dieser Gene – ZENK und cfos – wurde mit Hilfe der In-situ-Hybridisierung bestimmt. Dabei wird die Boten-RNA nachgewiesen, die auf dem Weg vom Gen zum Protein gebildet wird und somit anzeigt, dass ein Gen angeschaltet ist. Die Wissenschaftler entdeckten bei den nachtwandernden Singvögeln ein Gehirnareal, das nur nachts eine hohe Genaktivität aufwies. Dieser als Cluster N (N für Nacht-Aktivierung) bezeichnete Gehirnbereich war hingegen bei jenen Singvögeln, die nachts nicht wandern, nicht zu finden – und bei den Zugvögeln verschwand die Aktivität, wenn man ihnen „Augenklappen“ aufsetzte.
Diese Ergebnisse bestätigen nach Meinung der Oldenburger Wissenschaftler die Hypothese, dass die nachtwandernden Zugvögel einen spezifisch an den Nachtflug angepassten Gehirnbereich besitzen, der ihnen besseres Sehen und Navigieren im Dunkeln ermöglicht. Cluster N umfasst fünf Regionen und liegt benachbart zum so genannten visuellen „Wulst“: einer Gehirnregion, die die Informationen vom Auge verarbeitet. Mouritsen und sein Team vermuten nun, dass dieser neu entdeckte Gehirnbereich die visuellen Wahrnehmungen mit dem Magnetsinn sowie der Sternenorientierung koppelt und so für das präzise Navigationssystem der Vögel im Nachtflug zuständig ist. Die VolkswagenStiftung fördert die Arbeiten von Dr. Henrik Mouritsen am Institut für Biologie und Umweltwissenschaften der Universität Oldenburg im Zuge der 2002 eingerichteten Nachwuchsgruppe „Animal navigation – a search for behavioural and physiological mechanisms“ mit 1,24 Millionen Euro.
ⓚ | Kontakt:
Dr. Henrik Mouritsen, Institut für Biologie und Umweltwissenschaften, Tel.: 0441/798-3081, E-Mail: henrik.mouritsenuni-oldenburg.de |