Presse & Kommunikation

Studentische Sozialisation in Hochschule und Stadt

Fallstudie über Herkunft, Lebensstil, Interessen und Einstellungen von Pädagogik und Jura-Studierenden

Für kaum jemanden ist die Studienstadt ein beliebig angesteuerter Lebensort, und einige wählen ihre Stadt bewusst als Ort für eine neue Biografiephase. U.a. mit dieser Thematik befasst sich die Dissertation von Dr. Klaus Vosgerau mit dem Titel „Studentische Sozialisation in Hochschule und Stadt“, die im vergangenen Jahr am Institut für Soziologie entstanden ist*. Vosgerau, der inzwischen beim Hochschul-Informations-System (HIS) in Hannover tätig ist, entwickelt in seiner Arbeit eine Theorie zum Verhältnis zwischen der Sozialisation im Studienfach und der Bedeutung des städtischen Umfelds für die Entwicklung in der Studienzeit. Schließlich präsentiert er die Idealtypen des Jura- und des Pädagogikstudierenden und verdeutlicht Voraussetzungen und Prozesse der Hochschulsozialisation exemplarisch an Fallbeispielen.

Jura-Studenten, so Vosgerau, stammten früher vornehmlich aus dem oberen Bürgertum. Sie sind in der Regel leistungsbewusst und streben ein effektives Studium an. Erkenntnis- und Lernprozesse erfolgen weitgehend zweckrational und instrumentell. Gesellschaftlich und politisch orientieren sich die Rechtswissenschaften am „herrschenden Pol der herrschenden Fraktion der Gesellschaft“ (Bourdieu), also z.B. an Staats- und Verwaltungsinteressen. Dies wird auch an oft konservativen kulturellen und gesellschaftspolitischen Einstellungen sichtbar. Damit korrespondiert ein Lebensstil, bei dem die durch den „Habitus“ bewirkte Orientierung an der „legitimen Kultur“ der Gesellschaft im Zentrum steht und durch individuelle Geschmacksausprägungen differenziert wird.

Im Gegensatz dazu herrscht bei den Pädagogik-Studierenden, die oftmals aus der unteren Mittelschicht und dem Kleinbürgertum stammen, ein eher alternativer, postmaterialistischer Lebensstil vor. Die allgemeine soziale Haltung lässt sich als tendenziell „links-alternativ“ bis „liberal“ kennzeichnen. Dementsprechend gilt das Studium nicht nur als Mittel zum Zweck, sondern auch als Wert an sich. Akademisch ist die Disziplin durch weiche und durchlässige Grenzen charakterisiert; die Wissensorganisation wie das soziale Innenleben folgen den Imperativen von Kooperation, Interesse am Randständigen und Uneinheitlichen und relativer, oftmals kritischer Distanz zum gesellschaftlich Gegebenen.

Am Fallbeispiel eines Hamburger Jura-Studierenden zeigt sich deutlich, dass der Studienort als Mittel zum Zweck gesehen wird - andere Städte wären für ihn genauso in Frage gekommen. Die Kenntnis Hamburgs ist auch nach mehreren Semestern sehr begrenzt und selektiv geblieben. Das Alltagsleben ist räumlich durch wenige, aber strikt eingehaltene Wege und Grenzen strukturiert, vor allem durch das Pendeln zwischen der Privatheit der Wohnung und dem Campus, wo mit Kommilitonen in einem sehr strukturierten, durchgeplanten Tagesrhythmus gelernt wird. Es werden lediglich wenige Orte der Freizeit integriert, wie der Stadtpark und ein Multiplex-Kino, während andere Räume (wie „soziale Brennpunkte“) auf der „subjektiven Landkarte“ schlicht nicht vorkommen.

Ganz anders dagegen die Stadtorientierung eines Pädagogen. Er fühlt sich in Hamburg mehr und mehr heimisch, was mit einer weitgehenden Erfahrungsoffenheit einhergeht - z.B. mit Blick auf die Obdachlosen im öffentlichen Raum, denen er alltäglich in der U-Bahn begegnet. Die Hansestadt bedeutet für ihn auch, in einem ausgewiesen vielfältigen, relativ toleranten Viertel leben zu können, wo auch Freunde und Mitstudierende wohnen. Stadtleben heißt aber zudem, den Stadtraum ausgiebig und frei umherziehend erkunden zu können, so dass hier die „subjektive Landkarte“ vergleichsweise umfassend ausfällt. Alles in allem bedeutet „Großstadt“ für den Pädagogikstudenten einen prinzipiell unerschöpflichen Erfahrungsraum (u.a. hinsichtlich des Kulturangebots: „Dafür ist die Stadt irgendwie da“).

Der Autor verweist auf zwei weitere mögliche Forschungsfragen. Die eine knüpft an die gegenwärtigen Hochschulreformen an (Bachelor/Master), was Auswirkungen haben könnte auf Art und Dauer der Fachsozialisation wie auch der Stadterfahrung. Die andere Frage betrifft die Annahme, dass das „Feld studentischer Sozialisation“ im zunehmenden Wettbewerb von Studiendepartments, Hochschulen und Hochschulstädten an Kontur und Relevanz gewinnen wird, wenn verstärkt um Studierende geworben wird. Erste Anzeichen hierfür liegen bereits heute vor, z.B. in der gemeinsamen Begrüßung der neu ankommenden Erstsemester nicht nur im Audimax, sondern auch im örtlichen Staatstheater, im altehrwürdigen Rathaus oder im lokalen Fußballstadion.


*Klaus Vosgerau, Studentische Sozialisation in Hochschule und Stadt. Theorie und Wandel des Feldes. Mit einer Fallstudie zur fachspezifischen Erfahrung der Großstadt. Peter Lang Verlag, Frankfurt a.M. u.a. 2005, 476 S.