Presse & Kommunikation
Das Ohr als Chip
Der Gehörsinn des Menschen weist eine Reihe von faszinierenden Eigenschaften auf, die sich mit elektronischen Schaltungen und empfindlichsten computergesteuerten Meßgeräten nur teilweise erreichen lassen. So ist die kleinste wahrnehmbare Schall-Leistung um den Faktor 1.000.000.000.000 (eine Billion) kleiner als der lauteste verarbeitbare Schall. Außerdem kann das Ohr die Stimme eines Menschen unter äußerst unterschiedlichen akustischen Gegebenheiten heraushören, z.B. im Partylärm, auf der Straße oder über Telefon - eine Fähigkeit, bei der auch die modernsten Telekommunikationseinrichtungen enormen Nachholbedarf haben.
Diese Gehöreigenschaften für technische Einrichtungen wie Telefon, Sprachsteuerung für den Computer und Hörgeräte nutzbar zu machen, ist erklärtes Ziel der Arbeitsgruppe "Medizinische Physik" unter der Leitung des Oldenburger Physikers und Arztes Prof. Dr. Dr. Birger Kollmeier, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird und Anfang Mai an der Universität Oldenburg ihre ersten Ergebnisse präsentierte. "Wir benutzen eine Nachbildung der Signalverarbeitung im Ohr, die sich in bisherigen Computerexperimenten als sehr vorteilhaft bei der automatischen Spracherkennung und der Überwachung der Sprachübertragungsqualität von Mobiltelefonen erwiesen hat", betont Kollmeier. Ziel der Arbeiten ist ein "Gehör-Chip", der beispielsweise Diktiergeräte, Computer und Telefone mit "intelligenten Ohren" versehen soll. Dies wird durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Informatik-Arbeitsgruppen von Prof. Dr. Bärbel Mertsching (Universität Hamburg) und Prof. Dr. Wolfgang Nebel (Universität Oldenburg) ermöglicht, die auf den Entwurf und die Optimierung von integrierten Schaltungen spezialisiert sind.
An der Universität Oldenburg konnten Teilergebnisse bereits von einer studentischen Projektgruppe vorgestellt werden, die im Rahmen eines einjährigen praxisorientierten Entwicklungsprojektes gegen Ende des Informatik-Studiums durchgeführt wurde. "Unsere Studenten haben dabei mit viel Engagement den ersten Teil einer gehörgerechten Sprachverarbeitung, die "Gammatone-Filterbank`, in einen Chip-Schaltungsentwurf umgesetzt", kommentiert Nebel den Erfolg der interdisziplinären Projektgruppe, die gemeinsam von den Fachbereichen Informatik und Physik unterstützt wird. Aber es bleibt noch viel zu tun: Der fertige Chip muß genügend klein sein und darf vor allem nicht zu viel Strom fressen - auch in dieser Hinsicht hat das menschliche Ohr unerhörte Vorteile.