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Verschuldung bei jungen Menschen: Kein Flächenbrand
 

Oldenburg. „Es trifft wohl zu, dass sich immer mehr Haushalte in Deutschland bis hin zur Privatinsolvenz verschulden und besonders jüngere Erwachsene zu Schuldnern werden. Die Zahlen aus dem ‚Schulden-Kompass 2004’ der SCHUFA sprechen für sich“, sagt der Hauswirtschaftsexperte Prof. Dr. Armin Lewald von der Universität Oldenburg. Allerdings ergebe sich bei näherer Betrachtung ein differenziertes Bild, wenn es um die Verschuldung junger Menschen in einem sie wirtschaftlich gefährdenden Maße gehe. So könne man bei der Gruppe junger Menschen mit erstem eigenen Einkommen keinesfalls von einem „Flächenbrand hoher Verschuldungen“ sprechen, wie manche Schlagzeile in Medien suggeriere.
Lewald hat in einer Studie – mit finanzieller Unterstützung der SCHUFA Holding AG (Wiesbaden) – ca. 1.400 Auszubildende im Alter überwiegend zwischen 18 und 24 Jahren zu ihrem Finanzverhalten befragt („Erstes Geld, erste Schulden - Zur finanziellen Situation Auszubildender“). Schwerpunkte der Befragungen waren die Nordwest-Region einschließlich Bremens und Dortmund (als Ballungsraum); kleinere Vergleichsuntersuchungen sind in Baden-Württemberg, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern durchgeführt worden. Auch wenn die Befragungen nicht repräsentativ seien – etwa weil das Problempotenzial der Gruppe der arbeitslosen Jugendlichen nicht berücksichtigt worden ist -, ließen sich aus den Ergebnissen doch wichtige Rückschlüsse z.B. auf mögliche Konzepte zur Schuldenprävention ziehen, sagt Lewald.
Der Oldenburger Wissenschaftler hatte sich schon 1999 im Rahmen einer Studie „Kinder, Jugendliche und Schulden“ mit der Verschuldungsthematik befasst. Ein Ergebnis war damals: Für mehr als 50 Prozent der Befragten (10 – 16 Jahre) kam der Erwerb gewünschter Güter bei zunächst fehlenden Mitteln durch Kreditfinanzierung eher in Frage als Verzicht.
Die wichtigsten Ergebnisse der aktuellen Studie:
- Schulden zu haben wird von der überwiegenden Zahl junger Menschen als negativ eingestuft.
- Der „Dispo-Kredit“ ist kein generelles Einfallstor für eine massive und nachhaltige Verschuldung.
- Das Statussymbol „Auto“ ist kein Anlass für eine massenweise Überschuldung.
- Die Risiko, das mit der Aufnahme von Krediten verbunden ist, scheint vielen jungen Menschen nicht bewusst zu sein.
- Das Leben im „Hotel Mama“, also zu Hause, ist für viele Auszubildende zuerst Schutz (weil finanziell sehr vorteilhaft) und wird dann für manche von ihnen nach dem Start in die Selbständigkeit zum Problem.
Bei der Bewertung von Schulden ergab sich im Einzelnen, dass über 70 Prozent der Befragten Schulden als unangenehm empfinden, während 14 Prozent eigene Schulden nicht als negativ, sondern als „zeitgemäß“ einstuften. Wie ernst die Aussage über die Nichtakzeptanz von Schulden zu nehmen ist, zeigt sich daran, dass die überwiegende Zahl der Auszubildenden tatsächlich auch nicht verschuldet ist und von den Möglichkeiten erlaubter Kontenüberziehungen („Dispo-Kredit“) nur moderat Gebrauch macht (ca. 12 Prozent bis zum Limit, 1,5 Prozent „heftige Überziehung“).
Als sehr bedeutungsvoll für den Umgang mit Geld und die sich daraus ergebenden Verhaltensmuster stuft Lewald die „’Hotel Mama’-Situation“ ein. Relativ viele junge Menschen, so ist den Ergebnissen der Befragung zu entnehmen, leben lange im Familienhaushalt zu finanziell günstigen Bedingungen. „Dies ermöglicht jungen Menschen einen konsumgeprägten Lebensstil, bei dem viele Wünsche problemfrei zu erfüllen sind“, so Lewald. Die frei verfügbaren Mittel wie Ausbildungsvergütung, häufig ergänzt um Einnahmen aus Nebentätigkeiten sowie in nicht wenigen Fällen aufgestockt durch zusätzliche regelmäßige Unterstützungen aus der Familienkasse, erzwinge nicht gerade ein striktes Haushalten. „Das Leben zu Hause dürfte auf Grund der damit verbundenen finanziellen Möglichkeiten dazu beitragen, dass dem hohen sozialen Wert, den Konsum bei jungen Menschen hat, Rechnung getragen werden kann.“
Insgesamt zeige die Untersuchung, so Lewald, dass eine massive Verschuldung oder gar eine Überschuldung bei jungen Menschen in der Ausbildung kein Massenphänomen sei: „Die Zahl derer, die als Auszubildende bereits in wirtschaftlich gefährdende Verschuldungen verstrickt sind, liegt bei etwa 10 Prozent. Dabei ist auffällig, dass die absolute Höhe des Einkommens dabei keine Rolle spielt.“ Daher bezweifle er, dass mehr oder weniger flächendeckendeAktivitäten zur „Schuldenprävention“ etwa in allgemein bildenden Schulen einen Sinn machen könnten, zumal sie in der Regel einen „Eventcharakter“ hätten und nicht langfristig angelegt seien („Heute ein besonderes Thema:...“).
Aufgrund seiner Studie sowie anderer Untersuchungen ist Lewald überzeugt, dass Ver- und Überschuldung junger Menschen weniger mit konkretem Wissen um Wirtschafts- und Finanzverhältnisse zu tun hat („Dass Konsumgüter und Dienstleistungen wie im Bereich der Telekommunikation bezahlt werden müssen, weiß jeder.“), sondern vielmehr mit Einstellungen und Werthaltungen. Konsumverhalten als Ausdruck von Gruppen- und Statuszugehörigkeit spiele hier eine sehr wichtige Rolle. Daher müssten Präventionskonzepte, wenn sie überhaupt als sinnvoll oder gar notwendig eingestuft werden sollten, gezielt bei Fragen des Wertekanons (Anspruchsverhalten, Konsum und seine Lebensbedeutsamkeit usw.) ansetzen. Auch Programme zur Selbstwertstärkung könnten einen Beitrag leisten, wenn es durch sie gelinge, dem Statuskonsum etwas von seiner scheinbaren Notwendigkeit zu nehmen.
„Zur Prävention muss aber auch die Anbieterseite beitragen“, so der Experte. „ Wenn z.B. in der Kommunikationsbranche auch solchen jungen Menschen Handy-Verträge gewährt werden, die schon finanzielle Probleme haben - was sich zumindest in etlichen Fällen durch einen Blick auf SCHUFA-Eintragungen erkennen ließe -, ist das Beklagen von Handy-Schulden etwas zweischneidig, wobei man auch bedenken muss, dass die Telekommunikationsbranche nicht zu denen gehört, die wegen hoher, nicht sofort bezahlter Handyrechnungen Alarm schlagen.“.Auch Banken sollten bei sich abzeichnenden Problemen mit jungen Kunden rechtzeitig das Gespräch suchen, wobei das Ziel nicht primär in einer Umschuldung, sondern im Aufzeigen von Wegen zur Entschuldung liegen müsse.

ⓚ  Kontakt:
Prof. Dr. Armin Lewald, Institut für Ökonomische Bildung und Technische Bildung, Tel. 0441/798-2629, E-Mail: armin.lewald@uni-oldenburg.de