Presse & Kommunikation
Gehirnarbeit verstehen
Interview mit Reto Weiler* über den Sonderforschungsbereich Neurokognition
FRAGE: Herr Weiler, wenn Sie morgens in den Spiegel sehen, gehen Ihnen da auch Ihre Forschungen, speziell die zum Thema Auge und Netzhaut, durch den Kopf?
WEILER: Es ist zwar nicht der Anblick meiner Augen, der mich zu meiner Arbeit führt, aber ich muss doch gestehen, dass man im Hinterkopf ununterbrochen an seine Forschungen denkt. Ich kann mir eigentlich gar nicht vorstellen, dass mein Gehirn sich einmal nicht mit diesen Fragen beschäftigt. Es wird mir vielleicht nicht immer so ganz bewusst, aber wenn man in so einem interessanten Gebiet forscht, ist ein Teil des Gehirns immer damit beschäftigt, sich Fragen zu stellen.
FRAGE: Der Sonderforschungsbereich Neurokognition besteht seit 1995. Sagen Sie uns noch einmal, um was es bei dem SFB geht?
WEILER: Der Untertitel heißt „Die neurobiologischen Grundlagen kognitiver Leistungen“. Wir möchten, wenn ich es mal etwas pauschal ausdrücke, die Gehirnarbeit besser verstehen. Man weiß ja, dass das, was wir als Denken, Planen und Handeln bezeichnen, durch unser Gehirn generiert wird, und dafür sind eben die Nervenzellen im Gehirn und ihre vielfältigen Interaktionen verantwortlich. Diese Prozesse aufzuklären ist ein zentrales Thema der Neurobiologie, nicht nur unseres Sonderforschungsbereichs. Wir haben uns nun spezialisiert auf die neurosensorischen Anteile der Gehirnarbeit. Dazu gehört z.B. visuelle Aufmerksamkeit, die Unterscheidung von Hörobjekten oder auch eine bestimmte Art von Gedächtnisbildung.
FRAGE: Zum SFB gehören nicht nur Biologen ...
WEILER: Nein, dazu zählen auch Mediziner, Physiker und Psychologen, d.h. von verschiedenen Seiten wird diese Fragen beleuchtet. Außerdem gliedert sich der SFB in drei große Projektgruppen. In dem einen Bereich wird neurobiologisch-experimentell gearbeitet, in dem anderen werden theoretische Modelle entwickelt, und im psycho-physischen Bereich wird insbesondere mit dem Menschen gearbeitet. Kürzlich ist noch ein vierter Bereich hinzugekommen, nämlich die Beobachtung von Vorgängen im Gehirn mittels Magnetresonanztomographie. Hier kooperieren wir mit dem Klinikum Oldenburg.
FRAGE: Was sind die wichtigsten Ergebnisse Ihrer Arbeit?
WEILER: In einigen Bereichen haben wir es geschafft, international auf uns aufmerksam zu machen und einen gewissen Standard zu setzen. Das gilt für die Modellierung von Aufmerksamkeit, wo innerhalb des SFB neue Vorstellungen darüber entwickelt worden sind, wie diese Vorgänge im Gehirn zustande kommen. Auch im Bereich der Akustik sind wir in Oldenburg in der Forschung einschließlich der Entwicklung theoretischer Modelle ganz weit vorne, wenn es darum geht zu verstehen, wie trennt das Gehirn Dinge, die wir hören wollen, von Geräuschen, die wir nicht hören wollen. Und im neurobiologischen Bereich konnten wir zeigen, dass es neben den bisher bekannten synaptischen Verbindungen elektrische Synapsen gibt. Diese Erkenntnis ist inzwischen weltweit akzeptiert. Neben diesen Highlights muss man sicher auch die besonders ausgeprägte Interdisziplinarität in unserem SFB hervorheben, die an den Universitäten in dieser Form nicht selbstverständlich ist.
FRAGE: Einige Ihrer Bremer Kollegen des SFB stehen des öfteren im Zentrum des Medieninteresses, und zwar wegen Tierversuchen im Rahmen ihrer Forschungen. In der Presse war zu lesen, dass die dortigen Versuche mit Primaten längerfristig eingestellt werden sollen.
WEILER: Diese Berichte sind nicht zutreffend. Dahinter steckt das Wunschdenken, dass die Magnetresonanztomographie Tierversuche völlig ersetzen kann. Es gibt jedoch immer Fragestellungen, die man nur über Tierversuche beantworten kann. Wenn man eine Einzelzelle in einem Nervensystem quasi fragen will, was sie macht, dann muss man invasiv mit einer Elektrode dahin gehen. D.h. es wird auch weiterhin solche Primatenversuche geben und geben müssen, wenn wir in der Forschung vorankommen wollen.
FRAGE: Gibt es in Ihrem Bereich hier in Oldenburg auch Tierversuche?
WEILER: Fast nicht. Wir entnehmen vorher getöteten Tieren Organe, dabei handelt es sich vor allem um Labormäuse. Außerdem stellen wir transgene Mäuse her, d.h. wir verändern das Genom dieser Tiere im Hinblick auf bestimmte Fragestellungen. Diese Experimente sind natürlich angemeldet.
FRAGE: Wie sehen Sie das Thema von der ethischen Seite?
WEILER: Ich glaube, man muss aufpassen, dass man in dieser Diskussion nicht Kriterien anlegt, die das Tier zum Menschen machen. Nach dem Motto: Wir haben jetzt herausgefunden, dass die Tiere ein Gehirn haben und ein hochentwickeltes Nervensystem, und deshalb sind Versuche nicht mehr zulässig. Den Neurobiologen waren diese Dinge schon immer bekannt. Wenn wir uns als Menschen Fragen stellen, die sehr komplexer Art sind, und wenn zur Beantwortung dieser Fragen Experimente auch mit Tieren notwendig sind, dann können wir uns das herausnehmen. Das ist eine Willensentscheidung, und wenn wir das nicht wollen, müssen wir die Vor- oder Nachteile für uns abschätzen. Genauso wie wir uns entscheiden, dass wir Tiere essen, können wir uns entscheiden, dass wir Tiere für Forschungszwecke auch verwenden. Das ist eine Entscheidung, die der Mensch sich nicht leicht machen soll, vor der er aber auch nicht zittern muss. Wobei ich immer für einen verantwortungsvolle Umgang mit allem, was um uns herum ist, plädiere - einschließlich der Tiere.
FRAGE: Nun melden sich ja Ihre Kollegen aus den Neurowissenschaften in diesen Zeiten des öfteren zu Wort, wenn es um den Menschen an sich geht, also darum, was ihn im Kern ausmacht. Sind Sie auch der Meinung, dass wir uns aufgrund Ihrer Forschungen mit ganz neuen Welt- und Menschenbildern vertraut machen müssen?
WEILER: Ich bin da vielleicht zurückhaltender als manche meiner Kollegen, weil ich nicht denke, dass es so leicht ist, das Menschenbild, das in unterschiedlichen Kulturen seit langer Zeit besteht, zu ändern. Und es ist vielleicht auch gar nicht unbedingt notwendig. Wichtig ist mir, dass wir akzeptieren, dass die Gehirnarbeit eine zentrale Bedeutung einnimmt für alles, was wir tun. Und ich glaube, dass man das Gehirn verstehen kann, so wie wir inzwischen auch andere Organe wie die Niere und das Herz verstehen. Natürlich ist es beim Gehirn eine sehr viel gewaltigere und komplexere Aufgabe, die uns noch Jahrzehnte beschäftigen wird.Und was den angeblichen oder tatsächlichen Allmachtsanspruch der Neurowissenschaften angeht: Ich halte nicht viel davon. Wir sind und bleiben ein Teil des gesamten Wissenschaftsgebiets. Wichtig erscheint mir allerdings die Anerkennung und die Integration der Neurowissenschaften in andere Wissenschaftsbereiche, z.B. in die Psychologie.
FRAGE: In diesem Zusammenhang eine persönliche Frage: Glauben Sie an Gott?
WEILER: Ich glaube nicht an einen Gott in einer religiösen Art, aber ich empfinde schon sehr stark die Schönheit und auch ein Aufgehobensein in der Natur. Das hängt auch mit vielen Erfahrungen zusammen. Und je mehr wir forschen, umso großartiger und schöner finde ich diese ganzen biologischen Zusammenhänge, ohne dass ich jetzt einen Schöpfer dahinter vermute oder es mich interessiert, ob einer dahinter steckt. Und jenseits der logischen und wissenschaftlichen Arbeit habe ich einen durchaus mystischen Bezug etwa zur Kunst oder der Musik oder der Poesie. Ich empfinde da eine gewisse Andacht.
FRAGE: Zurück zur Wissenschaft. Am System der Universitäten wird derzeit ja viel kritisiert. Eine pauschale Kritik lautet, die Professoren kümmerten sich zu wenig um die Lehre und gingen nur ihrem eigentlichen Interesse, nämlich der Forschung, nach. Wie viel Zeit findet denn jemand wie Sie im Hochschulalltag noch für die Lehre?
WEILER: Sie haben doch sicher vorhin die vielen Studenten auf den Fluren gesehen. Wir haben zurzeit wieder ein Fortgeschrittenenpraktikum mit 18 Studierenden, die werden vollkommen in unsere Arbeit integriert. D.h. wir nehmen die Ausbildung sehr ernst, und sie nimmt auch viel Zeit in Anspruch. Das reicht von den Vorlesungen und Prüfungen über die Betreuung der Praktika bis hin zur Betreuung der oft sehr aufwändigen Diplomarbeiten, Doktorarbeiten und Habilitationen. Dass die Ausbildung bei uns sehr gut ist, merken wir auch an der Nachfrage nach Studienplätzen, auch wenn wir da nicht mit Standorten wie Berlin konkurrieren können. Aber das sagt überhaupt nichts aus über die Qualität der Ausbildung dort oder hier. Da brauchen wir uns nicht zu verstecken, im Gegenteil: Wir stellen immer wieder fest, dass unsere Studenten hier ganz besonders gut ausgebildet sind. Sie werden uns fast aus den Händen gerissen und sie können in der Regel schon vor Abschluss der Diplomarbeit zwischen zwei und drei Arbeitsstellen wählen.
* Prof. Dr. Reto Weiler ist Sprecher des SFB Neurokognition und Direktor des Instituts für Biologie und Umweltwissenschaften
Kontakt: Prof. Dr. Reto Weiler, Tel.: 0441/798-2581, E-Mail: reto.weiler@uni-oldenburg.de
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