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Auf den Sonnenuntergang geeicht: die Navigation von Zugvögeln

Veröffentlichung in der Wissenschaftszeitschrift "Science"

 

Oldenburg. Milliarden von Singvögeln ziehen zwei Mal jährlich zwischen den Kontinenten hin und her. Verschiedene Experimente legten bislang den Schluss nahe, dass über Nacht fliegende Singvögel möglicherweise die Sterne, die Sonne, das geomagnetische Feld und polarisierte Lichtmuster zur Orientierung nutzen. Doch: Wie nun genau funktioniert die Langstreckennavigation?


Satellitenbild mit den Flugbahnen der untersuchten Vögel (rot und gelb, Kontrollvögel schwarz)

Aufschluss gibt jetzt eine Veröffentlichung in der renommierten Wissenschaftszeitschrift „Science“, Ausgabe vom 16. April 2004. Drei Forschern – darunter der Nachwuchswissenschaftler Dr. Henrik Mouritsen vom Institut für Biologie und Umweltwissenschaften der Universität Oldenburg – gelang es zu klären, wie die Orientierungsmechanismen bei Zugvögeln in freier Natur funktionieren. Die Wissenschaftler kamen zu einem überraschenden Ergebnis: Die Vögel bedienen sich im Flug eines magnetischen Kompasses. Dieser Kompass beruht offensichtlich nicht auf einer feststehenden magnetischen Ausrichtung in Abhängigkeit vom magnetischen Norden. Stattdessen scheint die magnetische Ausrichtung, die während des Vogelfluges benutzt wird, auf die Richtung des Sonnenuntergangs geeicht zu sein. Die Wissenschaftler überraschte auch, dass Zugvögel in der freien Natur diese Orientierungshilfen auf andere Weise zu nutzen scheinen als unter „Laborbedingungen“ im Käfig – eine Erkenntnis, die viele auf Käfigexperimenten beruhenden Ergebnisse relativiert.

Wie kamen die Wissenschaftler zu ihren Erkenntnissen? Das Zusammenspiel von magnetischen, stellaren und durch den Sonnenuntergang bedingten Einflüssen, denen die Vogelzüge in freier Wildnis lebender Singvögel unterliegen, wurde wie folgt untersucht: Die Forscher setzten Nordamerikanische Catharus-Drosseln bei beginnender Dämmerung, kurz vor deren Abflug, im Käfig nach Osten gerichteten Magnetfeldern aus. Später, in der Nacht dann, ließen sie die Vögel frei. Mittels Radiotelemetrie, also Funkfernmessung, verfolgten sie einzelne Tiere während ihrer nächtlichen Wanderung. Dabei machten die Forscher folgende Beobachtung: Anstatt sich nordwärts auszurichten, wie es von den Frühlings-Zugvögeln zu erwarten gewesen wäre, flogen sie jetzt nach Westen. Als sie jedoch in den folgenden Nächten wieder unterwegs waren, fielen dieselben Individuen in ihre nördliche Zugrichtung zurück.

Catharus-Drossel
Catharus-Drossel © Mike Danzenbaker, http://www.avesphoto.com/

Die Ergebnisse lassen vermuten, dass Catharus-Drosseln – und möglicherweise auch andere Singvögel – bei ihrer Navigation in der freien Natur einen magnetischen Kompass benutzen, der während der Dämmerung geeicht wird. Der Clou: In Abhängigkeit vom Sonnenuntergang richtet sich dieser täglich neu aus. Der einfache Mechanismus bietet eine Erklärung für die bislang unbeantwortete Frage, wie Zug- und Wandervögel ihren magnetischen Kompass auch in Gebieten „nutzen“ können, wo magnetischer und geografischer Nordpol stark auseinander fallen. Entsprechend ließe sich erklären, wieso die Vögel den magnetischen Äquator überqueren können, ohne die Orientierung zu verlieren. Beteiligt an diesen Forschungen waren neben Mouritsen die Wissenschaftler Dr. Martin Wikelski von der Princeton University und Dr. William Cochran, Illinois Natural History Survey, USA.

Mouritsen leitet am Institut für Biologie und Umweltwissenschaften der Universität Oldenburg die von der VolkswagenStiftung Anfang 2002 eingerichtete – und mit 1,24 Millionen Euro geförderte – Nachwuchsgruppe „Animal navigation – a search for behavioural and physiological mechanisms“. Das Forscherteam beschäftigt sich mit der bei vielen Tierarten bekannten Langstreckennavigation; eine Fähigkeit, die Menschen seit Jahrhunderten fasziniert hat und Wissenschaftler seit Jahrzehnten herausfordert. Nach wie vor etwa ist unklar, wie es einem Schmetterling, dessen Gehirn weniger als 0,02 Gramm wiegt, möglich ist, den Weg zu seinem Tausende Kilometer entfernten Winterquartier zu finden, obwohl er nie zuvor dort war. Auch die Präzision, mit der ein Zugvogel über den Globus navigiert, hat seit jeher den Menschen zur Nachahmung animiert.


Dr. Henrik Mouritsen hinter zwei Albatrossen

Mit diesem Problemkomplex setzen sich Mouritsen und sein Team auseinander. Neben den jetzt veröffentlichten Untersuchungen zur Langstreckennavigation bei Singvögeln nehmen sie zum Beispiel – mit Hilfe eines eigens konstruierten Flugsimulators – verhaltensbiologische und physiologische Studien zur Langstreckennavigation von Monarch-Faltern vor. Des Weiteren versuchen sie, die physiologischen und molekularen Mechanismen zu entschlüsseln, die den Magnetsinn ausmachen. So sollen jene Hirnareale und die beteiligten molekularen Strukturen identifiziert werden, die an der Dekodierung der Magnetorientierung beteiligt sind. Ziel der Nachwuchsgruppe ist es, durch den kombinierten Einsatz von mathematischen Modellen, quantenchemischen Methoden, der Immunocytochemie, der Molekular- und Neurobiologie sowie von Computersimulationen unter Zuhilfenahme von Verhaltensexperimenten und Felddaten ein besseres Verständnis der verhaltensbedingten und physiologischen Mechanismen der Langstreckennavigation von Insekten und Vögeln zu erlangen.

 

ⓚ  Kontakt:
Dr. Henrik Mouritsen, Institut für Biologie und Umweltwissenschaften, Tel. 0441/798-3081, E-Mail: henrik.mouritsen@uni-oldenburg.de